Dr. Sex
sagte Rutledge.
»Ja, allerdings. Ich kenne keinen Menschen wie ihn.«
»Das gefällt mir. Mir gefällt das ganze Projekt, an dem Sie und er und Purvis hier arbeiten. Sehr aufregend. Geradezu bahnbrechend.«
Wir gingen dahin und waren noch einen Block von der Universität entfernt. Es war ein gutes Gefühl, nicht im Büro zu sitzen, die Sonne zu spüren, und sei es auch nur für eine halbe Stunde, und ich war froh, daß Prok mir den Auftrag gegeben hatte, Rutledge vom Bus abzuholen. Ich kam nicht oft genug raus. Keiner von uns kam oft genug raus. Ich nahm mir vor, Iris zu fragen, ob sie Lust auf ein Picknick am Wochenende hatte, bevor das Wetter umschlug.
»Ich wäre gern dabei, wirklich«, fuhr Rutledge fort, als hätte ich ihm widersprochen. »Und habe ich schon erwähnt, daß mir diese Stadt gefällt? Scheint ein prima Ort zu sein, um Kinder großzuziehen.«
Dazu konnte ich nichts sagen, aber er redete ohnehin nur, um sich selbst zu hören. Es gab zwei Alternativen – sollte er oder sollte er nicht? –, und er mühte sich sehr, zu dem Schluß zu kommen, daß er sollte. »Übrigens«, sagte er, als wir den Campus erreicht hatten, »haben Sie und Iris eigentlich Kinder?«
»Nein«, sagte ich, »aber wir hätten gern welche. Wir ... na ja, wir bemühen uns.«
Er grinste. »Bemühen, hm?«
»Ja.« Ich grinste zurück.
»Wenn man’s recht bedenkt« – er strich mit zwei Fingern über seinen Schnurrbart –, »ist das ja nichts anderes als eine Facette der Forschungsarbeit, nicht?«
Prok verbrachte den größten Teil des Tages hinter verschlossenen Türen mit Rutledge. Wir aßen in einem Restaurant zu Abend – nur wir vier, ohne Frauen –, und Prok bombardierte Rutledge, obgleich sowohl dieser als auch seine Frau ihre Geschichten hatten aufzeichnen lassen, mit tausend Fragen. Es gab alkoholische Getränke, auch wenn Prok nichts davon anrührte, und Rutledge beschränkte sich, sei es aus Mäßigkeit, sei es aus Berechnung – er wußte, daß er noch immer auf dem Prüfstand war –, auf zwei Highballs und aß trotz Proks Verhör mit gutem Appetit. Ich trank gerade genug, um zu spüren, wie ich sekundenlang meinen Körper hinter mir ließ, nicht übermäßig viel also, keine aufsehenerregenden Mengen, und Corcoran, der zu den trinkfestesten Männern gehörte, die ich kannte, trank stetig während des ganzen Essens, beinahe als bereitete er sich auf eine Art Ausdauertest vor. Was, wie sich herausstellte, tatsächlich zutraf.
Niemand hatte mir etwas gesagt, doch Proks Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, daß noch eine weitere Prüfung oder Demonstration kam, und als Corcoran sich vor dem Dessert entschuldigte, uns zuzwinkerte und sagte, wir würden einander bald wiedersehen, war mein Verdacht bestätigt. »Tja«, sagte Prok, während wir Eiscreme und Biskuitkuchen aßen und die Kellnerin im Hintergrund wartete, »das war ein schöner Abend. Und ein schöner Tag – ich hoffe, er hat Ihnen, Oscar« – er gebrauchte Rutledges Vornamen zum ersten Mal, ein Hinweis darauf, daß jetzt etwas kam, denn sonst war es seine feste Gewohnheit, seine Mitarbeiter nur mit Nachnamen anzusprechen –, »so gut gefallen wie mir. Bei Milk bin ich mir sicher. Stimmt’s, Milk?«
Ich bestätigte es und Rutledge ebenfalls. »Es war großartig«, sagte er, »und ich muß sagen, Dr. Kinsey, ich bin von allem, was Sie mir hier gezeigt haben, sehr beeindruckt...«
Prok hatte den Löffel hingelegt und sah Rutledge über die Brücke seiner gefalteten Hände hinweg an. Seine Miene verriet nichts – Prok, der Ausdruckslose, Prok, der Interviewer, der Offene, Zugängliche, Vorurteilsfreie –, doch seine Augen blitzten vor Erregung. »Nennen Sie mich Prok«, sagte er.
Rutledge beugte den Kopf, legte eine Hand in den Nacken und richtete sich lächelnd wieder auf. »Klar«, sagte er. »Mit Vergnügen. Prok.«
»Gut, gut, gut«, murmelte Prok und ließ die Rechnung kommen. Die nächsten Minuten verbrachte er damit, sie zu studieren und den exakten Betrag plus ein Trinkgeld von drei Prozent abzuzählen, während Rutledge und ich kollegiale Konversation machten. »Also«, sagte Prok schließlich und schob die säuberlich gestapelten Geldscheine und Münzen in die Tischmitte, »dann wollen wir mal zu mir gehen und uns noch ein bißchen unterhalten und eine Tasse guten, starken Kaffee trinken, wenn ihr meint, daß ihr um diese Uhrzeit noch einen vertragen könnt« – er hielt inne und grinste –, »denn ich habe für Sie, Rutledge, etwas
Weitere Kostenlose Bücher