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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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wieder. »Nein«, sagte sie, und ihre Stimme war ganz sanft, »ich auch nicht.«
Ich führte sie in eine Kneipe voller Studenten, die hier Schutz vor dem Regen gesucht hatten, und kaum saßen wir in einer Fensternische, als sie den Verlobungsring vom Finger streifte und in ihrer Geldbörse verschwinden ließ. Dann zog sie die Hutnadel heraus, setzte den Hut ab, richtete mit tupfenden Bewegungen ihre Frisur und wandte sich zur Seite, um neuen Lippenstift aufzulegen. Ich hatte nicht über den Augenblick hinausgedacht, und nachdem wir uns geeinigt hatten, wohin wir gehen wollten, hatten wir nicht mehr viel gesprochen, als wäre die Hintergrundmusik des Regens, der auf dem Schirm Trommelwirbel schlug und die Saiten der zerzausten Bäume zupfte, das Äußerste an Ablenkung, das wir verkraften konnten. Während ich die Ellbogen auf den Tisch stützte, mich vorbeugte und sie fragte, was sie trinken wolle, wurde mir mit einem Mal bewußt, daß dies beinahe ein Rendezvous war, und ich pries mein Glück, denn ich hatte noch zweieinhalb Dollar in der Tasche, nachdem ich von meinem mageren wöchentlichen Scheck (ich arbeitete damals in der Bibliothek, wo ich an fünf Abenden pro Woche einen Besen herumschob und Bücher einsortierte) Unterkunft und Verpflegung bezahlt hatte. »Ach, ich weiß nicht«, sagte sie, und ich sah, daß auch sie noch nicht wieder ganz bei sich war. »Was trinkst du?«
»Einen Bourbon. Und ein Bier.«
Sie zog einen Flunsch.
»Ich kann dir auch was Alkoholfreies bestellen, wenn du willst, vielleicht ein Ginger Ale.«
»Einen Tom Collins«, sagte sie. »Ich nehme einen Tom Collins«, und sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen.
Meine Hosensäume waren durchnäßt, und meine Socken quietschten in den Schuhen, als ich aufstand und zur Theke ging. Es war eng und dampfig, überall waren Schultern und Ellbogen, und das Sägemehl auf dem Fußboden wurde von Hunderten nasser Sohlen zu einer dunklen Masse gestampft. Als ich mit unseren Drinks zum Tisch zurückkehrte, saß gegenüber von Laura ein zweites Paar: Die Frau trug einen grünen Samthut, der die Farbe ihrer Augen zur Geltung brachte, und der Mann hatte seinen nassen Regenmantel bis über den Hemdkragen und die Krawatte zugeknöpft. Er hatte eine höckrige lange Nase und kleine, zu dicht beieinanderstehende Augen. Ich kann mich heute weder an seinen noch an ihren Namen erinnern. In diesem Bericht werde ich sie Sally und Bill nennen. Sie hatten die Vorlesung ebenfalls gehört und waren zwar noch nicht verlobt, aber auf jeden Fall ein Liebespaar – also unendlich viel mehr, als Laura und ich füreinander waren.
Laura stellte uns einander vor. Ich nickte und sagte, ich sei erfreut, sie kennenzulernen.
Bill hatte einen Krug Bier vor sich stehen, aus dessen samtig goldenen Tiefen Kohlensäurebläschen emporperlten, und ich sah schweigend zu, wie er, die Zunge in den Mundwinkel geklemmt, ein halbes Glas für Sally und ein ganzes für sich selbst einschenkte. Die goldfarbene Flüssigkeit ergoß sich wirbelnd in die Gläser, und der Schaum stieg auf, setzte sich und bildete eine vollkommen runde weiße Scheibe. »Sieht so aus, als würdest du das nicht zum ersten Mal machen«, sagte ich.
»Allerdings«, antwortete er, hob das Glas und grinste. »Trinken wir auf...« Er wartete, bis wir alle unsere Gläser erhoben hatten. »... auf Professor Kinsey!« rief er. »Auf wen sonst?«
Aus der Nische hinter uns ertönte Gekicher, doch wir lachten allesamt, um unsere Verlegenheit zu überspielen. Nur ein einziges Thema beherrschte unsere Gedanken, und wir wollten unbedingt darüber sprechen, doch obgleich Bill bereits darauf angespielt hatte, fühlten wir uns nicht recht wohl dabei. Wir schwiegen und betrachteten die durchnäßten Leute, die von draußen hereinkamen. »Dein Ring gefällt mir, Sally«, sagte Laura schließlich. »War der eigentlich sehr teuer?«
Und dann kicherten die beiden, und Bill und ich lachten mit – wir lachten und lachten aus reiner Freude und Erleichterung. Ich spürte, daß der Bourbon im Magen ankam und seine Fühler nach den entfernten Verästelungen meiner Nerven ausstreckte. Ich strahlte, und die anderen strahlten ebenfalls. Wir vier teilten ein Geheimnis: Wir hatten Dean Hoenig an der Nase herumgeführt und soeben in dem abgedunkelten Hörsaal im Biologie-Gebäude an einem Initiationsritus teilgenommen. Es dauerte ein Weilchen. Bill steckte sich eine Zigarette an. Die Frauen sahen einander forschend in die Augen. »Herrje«, sagte

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