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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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audiovisueller Hilfsmittel), die Prok über die Physiologie ehelicher Beziehungen halten würde.
Die ganze Uni sprach von nichts anderem, und ich habe den Verdacht, daß eine Menge Studentinnen im dritten Studienjahr denselben Gedanken gehabt hatten wie Laura Feeney und nun in Ramschläden nach billigen Verlobungsringen suchten – vielleicht sogar Studentinnen im ersten und zweiten Studienjahr. Ich nehme an, Lauras Sportskanonen waren zu sehr von den Vorbereitungen auf die Wintersaison und somit von ihren Trainern in Anspruch genommen, und darum besetzte sie die Rolle des Bräutigams mit mir. Ich hatte nichts dagegen. Natürlich könnte ich sagen, daß sie nicht mein Typ war, aber unter den richtigen Umständen ist jede Frau der Typ eines jeden Mannes. Sie war beliebt, sie war hübsch, und wenn die Leute sie für ein, zwei Stunden die Woche für meine Verlobte hielten – um so besser. Bis dahin hatte ich mich voll und ganz auf mein Studium konzentriert – in fünf der sechs ersten Semester hatte mein Name auf der Liste der Besten gestanden – und weder in der Uni noch zu Hause viele Frauen kennengelernt, und daß Laura nun, während andere Paare vorbeispazierten, neben mir ging und die spät erblühende Sonne die Bäume mit Sirup übergoß und die dingliche Welt minutenlang stillzustehen schien, erfüllte mich mit einem vollkommen neuen Gefühl. War es Liebe? Ich weiß es nicht. Jedenfalls war es etwas, und es berührte mich stark – ich durfte also hoffen, oder?
Wie gesagt, die ganze Uni sprach von nichts anderem, und als wir am ersten Tag der Vorlesungsreihe den Hörsaal betraten, war er bereits überfüllt. Ich weiß noch, daß ich überrascht war, wie viele jüngere Dozenten mit ihren prüden, wohlanständigen Frauen in den vorderen Reihen saßen und wie viele von ihnen ich nicht kannte. Auch einige ältere Fakultätsmitglieder waren gekommen. Sie wirkten etwas verloren, ja sie schienen sich nicht ganz wohl zu fühlen, und ihre Anwesenheit war ein echtes Rätsel: Man hätte doch meinen sollen, daß Leute in den Vierzigern und Fünfzigern, die erwachsene Kinder hatten, mit den grundsätzlichen Tatsachen des Lebens vertraut waren – und doch, da saßen sie. (»Vielleicht brauchen sie einen Auffrischungskurs«, sagte Laura sehr gedämpft und mit einem angedeuteten Grinsen, und selbst dabei, bei dieser winzigen Bemerkung über das, was diese Paare in privater Abgeschiedenheit taten – oder einst getan hatten –, wurde mir ganz heiß.) Die Studentinnen und Studenten aber bildeten den größten Teil der Zuhörerschaft – es müssen dreihundert oder mehr gewesen sein, die dichtgedrängt dasaßen, und alle warteten darauf, schockiert zu werden, die verbotenen Worte laut ausgesprochen zu hören und den bewußten Akt in lebensechten Farben vorgeführt zu bekommen.
Dr. Hoenig, die Dekanin der Studentinnen, hatte sich am Eingang postiert, um sich auf die zu stürzen, die nicht auf ihrer Liste standen. Sie war eine kleine Frau mit großem Busen, einem ausgesprochen uneleganten Kleid und einem grauen Glockenhut, der sich wie eine Erweiterung ihrer Hochfrisur ausnahm, und obgleich sie damals in den Vierzigern gewesen sein muß, erschien sie uns, wenn sie sich mit blitzenden Brillengläsern über ihre Liste beugte und die Ringfinger der angeblich verlobten Studentinnen musterte, uralt wie die Sphinx. Wir bestanden die Prüfung, ließen die begleitenden Vorlesungen der Dozenten aus den anderen Fachbereichen über uns ergehen und warteten darauf, daß Dr. Kinsey die Bühne betrat. Wir hatten ihn anfangs schon gehört – er hatte uns in seiner Einführungsvorlesung mit der Behauptung elektrisiert, die einzigen Abnormitäten im Hinblick auf Sex seien Abstinenz, Keuschheit und späte Ehe –, doch nach ihm kamen ein Professor für Medizin, dessen Stimme das reinste Schlafmittel war, sowie ein methodistischer Pfarrer und ein verkniffenes Männlein vom Lehrstuhl für Psychologie, das bis zum Erbrechen über Freuds Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie referierte.
An dem Tag, auf den wir alle gewartet hatten – dem Tag, an dem er die Dias zeigte –, regnete es, und als Laura Feeney und ich und die anderen Studenten, die ihre Regenmäntel auszogen und Schirme schüttelten, uns im Vorraum drängten, war ich überrascht von dem durchdringenden Geruch, den diese geballte Masse gesalbten Fleisches verströmte. Auch Laura schien ihn bemerkt zu haben, denn kaum war sie mit züchtig niedergeschlagenen Augen an Dean Hoenig

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