Dr. Sex
und Mac entschuldigte sich und eilte in die Küche. Ich kannte nicht alle der Anwesenden, obwohl ich schon bei einigen von Proks musikalischen Abenden gewesen war. Die Gästeliste wurde von Mal zu Mal verändert, und so wußte ich nicht, wer Corcoran war. Professor Bouchon vom Lehrstuhl für Chemie und besonders seine Frau, die an Logorrhö zu leiden schien, nahmen uns in Anspruch. Wir wurden getrennt, und ich stand in eine Ecke gedrängt da und nickte in, wie mir schien, angemessenen Abständen, während Mrs. Bouchon mir in erschöpfender Detailliertheit die Defekte des deutschen Charakters und die Entbehrungen schilderte, denen sie während des Krieges, als Mädchen, in Nantes ausgesetzt gewesen war. Iris war am anderen Ende des Raums, hielt ein langstieliges Glas mit einer grünlichen Flüssigkeit (einem von Proks Kräuterlikören) in der Hand und unterhielt sich reserviert mit Professor Bouchon und einem Mann im Flanellanzug, hager und gebeugt und zu alt, um Corcoran zu sein. Erst da fiel mir auf, daß Prok gar nicht da war.
Ein Wort zu den musikalischen Abenden: Prok, der unermüdliche Sammler, besaß über tausend Schallplatten und veranstaltete seit mehr als zehn Jahren diese wöchentlichen Zusammenkünfte, um andere an seinem Reichtum teilhaben zu lassen. Das Niveau dieser Abende war hoch, der Ablauf folgte stets einem geradezu starren Schema: Prok präsidierte, und das tat er so, wie er alles tat. Die Gäste fanden sich ein und ergingen sich, wie wir jetzt, für eine Weile in Gesprächen, anschließend hielt Prok einen Vortrag über die Stücke und die Komponisten, die er ausgewählt hatte, und dann kam die Musik. Man saß im Halbkreis um das Grammophon und sah zu, wie Prok die Schall- platte abwischte, die Kaktusnadel justierte und sie sanft auf die sich drehende Scheibe setzte; darauf folgte ein Augenblick gespannter Erwartung, die Gäste lauschten steif und ausdruckslos dem ersten Knistern und Knacken, bis mit charakteristischem Getöse die Musik einsetzte und alle ihre Konzertposen einnahmen. Die Platten liefen immer auf voller Lautstärke, denn Prok war überzeugt, daß man nur so die Nuancen der Pianissimo-Passagen erfassen und die Komplexität des Zusammenspiels der verschiedenen Instrumente würdigen konnte, und für die Dauer der Symphonie oder des Quartetts oder was immer Prok ausgewählt hatte, mußte absolute Stille herrschen. Ich erinnere mich an einen Abend, an dem die Frau eines erstmals eingeladenen Gastes sehr unruhig war und ständig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte, obwohl Prok ihr einen mahnenden Blick nach dem anderen zuwarf. Der Stuhl quietschte, und sie konnte nicht stillsitzen. Als in der Pause Erfrischungen gereicht wurden, ignorierte Prok sie. Sie wurde, soviel ich weiß, nie wieder eingeladen.
Aber an diesem Abend war es, Corcoran zu Ehren, anders. Die Gespräche vor dem Konzert waren eingehender und lebhafter, als wäre dies eine Einladung zu einem formellen Abendessen und nicht zu einem musikalischen Abend. Ich wollte mich gerade entschuldigen, um Prok zu suchen, als die Tür zur Küche aufschwang und er, die Kristallschüssel von unserer Hochzeitsfeier in beiden Händen haltend, ins Zimmer trat. Hinter ihm stand Corcoran und hielt die Tür auf.
Das erste, was mir an ihm auffiel, war sein Ausdruck – nicht direkt selbstzufrieden, aber überaus entspannt und selbstsicher – und dann seine ganze Physiognomie. Wissenschaftler (nicht wir, sondern andere Erforscher dieses Gebiets) haben herausgefunden, daß wir bei beiden Geschlechtern jene Gesichter am attraktivsten finden, die perfekter Symmetrie am nächsten kommen, und das galt auf jeden Fall für Corcorans Gesicht. Er sah sehr gut aus, keine Frage. Augen, so braun wie eine Kalblederbrieftasche, sandfarbenes Haar, eine vollkommen ebenmäßige Stirn – alles an ihm war so gepflegt und elegant, daß man es als angenehm empfand, einfach nur als angenehm. Man sah ihn an und mochte ihn, und wenn er lächelte und dann etwas sagte, mochte man ihn noch mehr. Das war Corcoran: gutaussehend, charmant, gesellig. Er war etwas größer als der Durchschnitt, ungefähr eins achtzig, und wirkte nicht besonders athletisch; er war irgendwie zu entspannt, zu unbekümmert. Als hinge vor ihm stets ein unsichtbarer Klingelzug, an dem er nur zu zupfen brauchte, um einen ganzen Trupp Diener antraben zu lassen.
Die Schüssel war bis zum Rand mit einer dunkel ockerfarbenen Flüssigkeit gefüllt, auf der drei oder vier leuchtendgrüne
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