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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Yerkes vom National Research Council und anderen Besitzern von Macht und Einfluß, erwog aber zugleich sehr ernsthaft eine Verstärkung durch einen zweiten Forschungsassistenten. Dieser zweite Assistent war, wie die meisten bereits wissen, Purvis Corcoran. Er war Psychologe, das habe ich schon erwähnt, jung, auf eine etwas geleckte Weise gutaussehend, kontaktfreudig, ein sexuelles Wunderkind. Er hatte zehn Jahre zuvor das Grundstudium an der University of Indiana absolviert, anschließend in Chicago seinen Abschluß gemacht und arbeitete jetzt auf eine Promotion hin. Er war verheiratet – seine Frau hieß Violet –, hatte zwei kleine Kinder, beide Mädchen. Prok lernte ihn kennen, während ich auf Hochzeitsreise war, nach einem Vortrag vor Sozialarbeitern in South Bend (»die prüdesten und in ihrer Vorstellung von Sex beschränktesten Menschen, die man sich vorstellen kann«). Corcoran hatte sich freiwillig gemeldet, um seine Geschichte beizusteuern, die, milde ausgedrückt, umfangreich war, sowohl in heterosexueller wie in homosexueller Hinsicht. Prok war beeindruckt. So beeindruckt, daß er ihn nach Bloomington einlud, damit er das Institut für Sexualforschung, wie wir unsere beengten Büroräume inzwischen offiziell nannten, besichtigen und sich um eine Stelle bei uns bewerben konnte.
    Als ich Iris gegenüber erwähnte, Prok habe Corcoran in Erwartung neuer Mittel vom NRC und der Rockefeller Foundation zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, war sie sogleich mißtrauisch. »Siehst du denn nicht, daß er dich ersetzen will?« sagte sie. »Er läßt dich fallen, er läßt uns im Stich, und ich werde hier ganz allein sein, während sie dich Gott weiß wohin schicken werden, in eine Wüste in Afrika, damit du gegen diesen Rommel kämpfen kannst oder wie der heißt, gegen irgendeinen Preußen mit Stechschritt, Gewehr und Bajonett.«
    Wir fauchten eine postkoitale Zigarette im Nash, den ich an unserer Lieblingsstelle geparkt hatte, mit Aussicht auf einen Steinbruch – geisterhaft aufragende Felsformationen und das stille, dunkle Wasser eines Teichs. »Das stimmt nicht«, sagte ich. »Es hat nichts mit dem Einberufungsbescheid oder dem Krieg oder sonst irgendwas zu tun. Wir brauchen einfach mehr Mitarbeiter, das ist alles.«
    Sie schwieg einen Augenblick. »Weißt du eigentlich«, sagte sie dann, »daß er mir ein Angebot gemacht hat?«
»Wer?«
»Dein Boß.«
»Prok?«
Es war sehr dunkel im Wagen, aber ich konnte erkennen, daß sie nickte. Wir waren nackt, ihr Geruch hüllte mich ein. Ich legte einen Arm um sie, zog sie an mich und streichelte ihre Brüste, doch sie wandte sich ab. »Ja, Prok«, zischte sie. »Er hat ... Als ich neulich auf dich gewartet habe. Er hat mir gesagt, daß er alle Hebel in Bewegung setzen wird, damit du zurückgestellt wirst, Briefe an die Einberufungsbehörde in Michigan City, sogar eine persönliche Eingabe will er machen, wenn es sein muß, weil dieses Forschungsprojekt, das weißt du ja, so wichtig für die nationale Sicherheit und so weiter ist, und ich habe gesagt, daß ich ihm dafür sehr dankbar bin. Mehr als das. Ich wäre beinahe auf die Knie gefallen und hätte ihm die Füße geküßt, denn du kennst ja meinen Standpunkt in dieser Sache – du wirst nicht in diesen Krieg ziehen, nicht solange ich am Leben bin, John Milk –, und er hat mich angesehen ... Ich weiß ja, daß du denkst, er ist Gott höchstpersönlich, vom Himmel herabgestiegen und umschwirrt von verzückt singenden Engeln, aber es war der kälteste Blick, den ich in meinem ganzen Leben bekommen habe. Und weißt du, was er dann gesagt hat, als wären wir dabei, ein Geschäft abzuschließen? Er hat gesagt: ›Deine Geschichte haben wir noch gar nicht, oder?‹«
»Ja«, sagte ich. »Na und?«
»Na und? Hörst du mir nicht zu?«
»Also, Iris«, sagte ich, und mir sank das Herz, »ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, daß du deine Geschichte aufzeichnen lassen mußt, weil es ... weil es sonst einen schlechten Eindruck macht ... Weil es jetzt schon einen schlechten Eindruck macht.«
»Er ist ein Erpresser.«
»Ein Erpresser? Bist du jetzt völlig übergeschnappt?«
»Red nicht solchen Unsinn, und tu nicht so, als wärst du blind.« Abermals streckte ich die Hand aus, aber sie rückte von mir ab, bis ihre Schultern das Seitenfenster berührten. Die Glut der Zigarette beleuchtete im Dunkeln ihr Gesicht. »Ich werde ihm meine Geheimnisse verraten, ich werde ihm sagen, was ich noch nie jemandem gesagt habe, nicht

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