Dr. Sex
Limonenhälften schwammen, und ich erkannte sofort, daß es sich um Proks Spezialversion von Planter’s Punch handelte (2 Teile dunkler Rum, 1 Teil Triple sec, Orangen- und Ananassaft zu gleichen Teilen, Limonensaft, ein Spritzer Grenadine, das alles gut geschüttelt, auf Eis serviert und mit einer Orangenscheibe und einer Maraschinokirsche garniert). Prok wirkte gedankenvoll, als er die Schüssel auf dem Couchtisch abstellte, und dachte offenbar über irgendeine witzige Bemerkung von Corcoran nach, doch dann nahm sein Gesicht wieder den neutralen Ausdruck an, und er konzentrierte sich darauf, die Gläser zu füllen und sie seinen Gästen zu reichen. Corcoran hatte sich mittlerweile zu Dean Briscoe und seiner Frau gesellt und unterhielt sich angeregt mit ihnen; er gestikulierte so gewandt und geschmeidig wie eine aufrecht stehende Forelle. Und dann, gerade als Mrs. Bouchon mir zum dritten Mal erzählte, daß sie sich im Herbst 1917 neun Wochen lang von Steckrüben hatte ernähren müssen, sah ich, daß er Iris bemerkte. Sie stand in einer Ecke und unterhielt sich noch immer mit Professor Bouchon und dem gebeugten Mann, der zu alt war, um Corcoran zu sein, und ich sah, wie Corcoran den Kopf wandte und seinen Blick auf sie richtete.
»Ein Trinkspruch!« rief Prok, obgleich das Glas in seiner Hand beinahe leer war und er vor einem musikalischen Abend noch nie irgendwelche alkoholischen Getränke serviert hatte, nicht einmal einen seiner Liköre. »Auf Purvis Corcoran«, sagte er und erhob das Glas, »einen hervorragenden, talentierten jungen Mann, ganz sicher nicht verklemmt, nicht im mindesten, und wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist er willens und bereit, an unserem Projekt mitzuarbeiten ... Das heißt, sofern es uns gelingt, ihn von den kulturellen und ästhetischen Reizen von South Bend wegzulocken.«
Es gab vereinzeltes Gelächter über Proks Versuch, witzig zu sein, und dann tranken wir. Prok führte sein Glas nicht an den Mund, stellte es ab und sah sich um, als suchte er etwas. Ich tupfte meine Lippen mit einer Serviette ab und lächelte Mrs. Bouchon geistesabwesend an. Sie war natürlich eine Langweilerin, aber ich blieb sehr aufmerksam und höflich – das war mein Job, und es entsprach meinem Wesen. Doch nun winkte Prok mich zu sich, und im selben Augenblick löste Corcoran sich von den Briscoes und schlenderte mit eigentümlichen Bewegungen in Richtung meiner Frau. Es war beinahe ein Tanz, und das Wort »schleichen« drückt es nicht annähernd aus – es war ein Gleiten, ja, das war es, er glitt über den polierten Holzboden, als wäre er im Eisstadion.
»Milk«, sagte Prok, »Milk«, und ich murmelte eine Entschuldi- gung und ging zu ihm. »Und Corcoran«, rief er, worauf mein zukünftiger Kollege auf dem Absatz herumwirbelte, als wäre er ein menschlicher Kreisel, den Prok soeben in Bewegung gesetzt hatte. »Ich möchte Ihnen John Milk vorstellen.«
Das Summen der Gespräche war, befeuert durch Proks Rum, wiederaufgelebt. Auch ich spürte ihn als ein unvermitteltes Stimulans, als befände sich eine Klappe an meinem Hinterkopf und als hätte ich den Rum direkt in mein Gehirn gegossen. Im selben Augenblick fiel mein Blick durch das Fenster auf den kahlen Persimonenbaum, der hinter Corcorans großem, glattem Kopf eingerahmt dastand wie das einzige Überbleibsel einer längst vergangenen Feuersbrunst. Corcoran lächelte. Er streckte die Hand aus, der glücklichste, der bestangepaßte und entspannteste Mann der Welt, ein Kaiser in seinem Schlafzimmer. Ich ergriff sie.
»Ich freue mich sehr«, sagte er und schüttelte mir die Hand. »Seit zwei Tagen singt Dr. Kinsey nun schon Ihr Loblied. Ich habe das Gefühl, als würde ich Sie bereits kennen.«
Zwischen uns war Proks Gesicht mit den Falten und den schweren Wangen, den scharf blickenden Augen und der Habichtsnase. Er nickte, er nickte beifällig.
»Ja«, sagte ich und war mir der Berührung seiner Hand bewußt, »ich auch. Ich meine, ja, ich ... äh ... freue mich auch.«
»Er wird langsam ein erstklassiger Interviewer«, warf Prok ein. »Und das ist keine kleine Leistung, wie Sie vermutlich feststellen werden, sobald wir alles unter Dach und Fach haben.«
Ich neigte angesichts dieses Kompliments den Kopf, um anzudeuten, wie wenig ich es verdiente. Beide Männer musterten mich, als wäre ich ein seltenes Exponat in einem Museum. »Wirklich, sehr freundlich, Prok.« An Corcoran gewendet, fuhr ich fort: »Es ist alles nur eine Frage der Ausbildung.
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