Dr. Sex
hatte sehr gehofft, Iris mit dem Nash irgendwohin entführen zu können, aber es war schon spät, und ich mußte morgen zur Arbeit und sie ins Seminar, also stand ich dumm herum, in der einen Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen ein Löffelbisquit, wieder mal in die Ecke gedrängt von Professor Bouchon und seiner Frau, die sich lobend über die soeben gehörte Musik äußerten. Da ich von klassischer Musik nur das wußte, was ich mir aus Proks Bemerkungen zusammengereimt hatte, hörte ich eigentlich bloß zu, während Professor Bouchet sich in Erinnerungen an einen Abend erging, an dem er Stokowski am Pult erlebt hatte – entweder in Philadelphia oder in New York, er wußte es nicht mehr genau –, und seine Frau darauf hinwies, daß die Deutschen zusammen mit dem Familienklavier auch all ihre Freude an der Musik zerstört hätten.
Auf der anderen Seite des Raums machten sich Iris und Corcoran miteinander bekannt. Corcoran hatte Prok irgendwie überredet, jetzt, zu angemessen vorgerückter Stunde, das Tablett mit seinen Likören hervorzuholen, und ich sah, daß er sich vorbeugte und eine urinfarbene Flüssigkeit in ihren Kaffee goß. Das Konzert hatte ihr nicht gefallen. Dessen war ich mir sicher. Sie behauptete stets, Proks Angewohnheit, die Stücke klinisch zu sezieren, beraube sie all ihres Gehalts, und im Lauf der Jahre wurden diese musikalischen Abende für sie immer mehr zu einer lästigen Pflicht. Doch an diesem Abend stand sie mit Corcoran im Halbdunkel der gegenüberliegenden Ecke, eingerahmt von den glatten schwarzen Flächen der Möbel und den dunklen Schlieren auf der Wand, und schien sich großartig zu unterhalten.
Woher ich das wußte? Ihre Körperhaltung und ihr Gesicht verrieten es mir. Ich kannte ihr Gesicht besser als mein eigenes, und daran, daß ihre Augen größer wurden und sie beim Sprechen die Lippen spitzte (was sagte er zu ihr, was war daran so faszinierend?), sah ich, daß sie ganz bei der Sache war. Und dann war da noch die Art, wie sie den Kopf beim Lachen zur Seite neigte, wie sie unbewußt an ihrem rechten Ohrring zupfte und von einem Fuß auf den anderen trat, als hätte der Boden unter ihren Füßen Feuer gefangen. Körpersprache. Ich hatte sie notwendigerweise gelernt. Ob ich eifersüchtig war? Kein bißchen, noch nicht. Warum hätte ich eifersüchtig sein sollen? Ich liebte sie, und sie liebte mich, daran gab es keinen Zweifel – und den hat es auch bis heute nie gegeben –, und der ganze Rest war, wie ich von Prok gelernt hatte, nichts weiter als eine Körperfunktion, reine Physiologie, Stimulus und Reaktion. Ich hörte Professor Bouchet und seiner Frau höflich zu, nickte und lächelte, wenn es angebracht schien, und entschuldigte mich dann, um den Raum zu durchqueren, meine Frau zu holen, mich bei den Gastgebern zu bedanken und hinaus in die Nacht zu gehen.
Der Heimweg war ... Na ja, man könnte ihn als anregend bezeichnen. Nicht im sexuellen Sinne (wie gesagt, in jener Nacht genossen wir nicht den Luxus sexueller Stimulation), sondern in emotionaler Hinsicht. Zuerst fummelten wir an unseren Mantelknöpfen herum, schlugen gegen den Wind die Kragen hoch, drückten uns aneinander und eilten die Straße entlang, ohne ein Wort zu sagen. In der Luft lag ein Geruch, der von Winter kündete, von kalten, mit Felsen übersäten kanadischen Weiten und den steifgefrorenen Fellen Hunderttausender von Tieren, die sich da über die Tundra schoben, und der Himmel über uns war offen, das Sternengesprenkel von Horizont zu Horizont war wie das weiße Blut der Nacht. Ich hatte Lust, noch irgendwo etwas zu trinken, wußte aber, daß Iris dem nicht zustimmen würde – absurderweise galt für sie, obwohl verheiratet, noch immer die Hausordnung des Wohnheims, wo die Rezeptionistin die Sperrstunde überwachte –, und so sagte ich statt dessen das erste, was mir durch den Kopf schoß. »Und Corcoran? Was hältst du von ihm?«
Sie hatte den Kopf gesenkt, die Schultern nach vorn gezogen, eine Hand am Kragen, und sie ging mit raschen Schritten. »Ach, ich weiß nicht«, sagte sie. »Er scheint ganz in Ordnung zu sein.«
»In Ordnung? Ist das alles?«
Meine Hände waren kalt. Ich hatte nicht daran gedacht, Handschuhe mitzunehmen, denn der Winter hatte ja noch gar nicht richtig begonnen. Ich hakte mich bei ihr unter und zwängte die rechte Hand in meine Manteltasche. Die Linke steckte ich in die Hosentasche, auch wenn es sich seltsam anfühlte, so unausgewogen zu laufen. Vor uns raschelte dürres
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