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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Und Prok ist, na ja ...«
»Da bin ich sicher«, erwiderte Corcoran und sah Prok mit seinem nüchternsten Blick an.
»Wenn alles unter Dach und Fach ist«, wiederholte Prok geschäftsmäßig. »Und ich hoffe sehr, daß Sie uns nicht zu lange auf Ihre Entscheidung warten lassen, Corcoran, denn das Projekt erfordert Daten, und wir haben noch ein paar andere Bewerber, lauter sehr fähige Männer, wie Sie selbst.« Wenn die Atmosphäre etwas Festliches gehabt hatte, so hatte Prok alle Spuren davon getilgt. Ich spürte, daß er ungeduldig war, daß er zum musikalischen Teil des Abends kommen und ihn hinter sich bringen wollte, obwohl er diese Abende als ein Mittel schätzte, sich seiner emotionalen Seite, die er im Arbeitsalltag immer unterdrückte, zu überlassen. Und ich spürte auch, daß er Corcoran einstellen, ausbilden und hinaus in die Welt schicken wollte, damit er Material sammelte. Er betrachtete uns, während wir uns die Hände schüttelten und uns ein erstes Bild voneinander machten, und sah nichts als Daten, Daten, deren Menge um fünfzig Prozent schneller wachsen würde.
Mac ging mit einem Tablett herum und sammelte die Gläser ein, und wir setzten uns. Prok bestand darauf, daß Iris und ich in der ersten Reihe neben Mac Platz nahmen, und angesichts dieses Arrangements überkam mich einen Augenblick lang Panik. Ich setzte mich zwischen die beiden Frauen, die sich sogleich über mich hinweg zueinander beugten und Worte, von denen ich rein gar nichts mitbekam, wie Vögel hin und her fliegen ließen. Auch Corcoran, der Ehrengast, saß in der ersten Reihe, und zwar neben Iris. Es wurde still. Professor Bouchons Frau kehrte von der Toilette zurück und nahm geduckt am Ende der zweiten Reihe Platz, und eine füllige Frau mittleren Alters, die ich nicht kannte oder jedenfalls nicht erkannte, holte ihr Strickzeug hervor und begann mit lautlosen Lippenbewegungen Maschen zu zählen. Es gab eine kurze Unterbrechung, in der Prok das Grammophon überprüfte, und ich beugte mich zu meiner Frau und stellte die beiden eilig einander vor. »Iris«, flüsterte ich, »das ist Purvis Corcoran – Corcoran, das ist meine Frau Iris ...« Und dann begann Prok mit seinem Vortrag.
»Heute abend habe ich einen besonderen Leckerbissen für Sie: zwei Versionen von Gustav Mahlers wunderbarer, kraftvoller Sym- phonie Nr. IV in G-Dur, die eine eingespielt von dem unsterblichen Leopold Stokowski, der das Philadelphia Orchestra dirigiert (einige von Ihnen werden ihn vom Beginn seiner Karriere mit dem Cincinnati Symphony Orchestra kennen), die andere von seinem Protege und Nachfolger Eugene Ormandy, einem Neuling sozusagen.« Prok fuhr in seinem Vortragsmodus mit einer kurzen Biographie Mahlers fort, zählte die bekannten, in den USA oder Europa gemachten Aufnahmen auf und verglich Stokowskis Stil mit dem von Ormandy. »Und nun«, sagte er, »werde ich Ihnen die Sätze im Wechsel vorspielen, Stokowski für den ersten und dritten Satz, Ormandy für den zweiten und vierten.« Sein zu großer Kopf wirkte wie eine reifende Frucht, aus Gründen der Balance waren seine Beine leicht gespreizt, und mit der Rechten gestikulierte er. »Den abschließenden Satz werden Sie dann aber auch in der von Stokowski dirigierten Version hören. Dieser Satz enthält das berührende Sopransolo Wir genießen die himmlischen Freuden‹, gesungen von« – er nannte zwei Sängerinnen, die mir vollkommen unbekannt waren –, »aber ich möchte, daß Sie sich nicht von den Unterschieden im Timbre der beiden Stimmen ablenken lassen, sondern sich voll und ganz auf die Tempoauffassung des jeweiligen Dirigenten konzentrieren, ja?«
Es erhob sich ein zustimmendes Gemurmel, das ihn zufriedenzustellen schien. Er faltete kurz die Hände in einer Geste des Gebets oder wohl eher der Beschwichtigung und wandte sich dann ab, um die Schallplatte aufzulegen. Mit einem Ruck, gefolgt von Rauschen und drei deutlichen Knacksern, setzte die Nadel auf, und dann erklang Mahler in voller Lautstärke.
Nach dem Konzert blieben wir noch etwa eine halbe Stunde (auch hierin unterschied sich dieser Abend von den anderen, denn sonst hatte Prok irgendwann eine Pause verkündet und das Programm mit einigen leichten Stücken beschlossen). Wir standen in kleinen Gruppen herum, tranken Kaffee und sprachen über die Musik und darüber, wie groß die Unterschiede zwischen der Auffassung der beiden Dirigenten waren – jedenfalls wenn sie durch eine Demonstration wie diese deutlich gemacht wurden. Ich

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