Dr. Sex
mal dir, und er wird dafür sorgen, daß du nicht eingezogen wirst.« Sie hielt inne, gerade lange genug, um ihre Stimme mit Bitterkeit zu durchtränken. »Und wenn ich das nicht tue – tja, dann heißt es ›Adieu, Johnny‹, nicht?«
Eine Woche später kam Corcoran, allein, ohne seine Frau. Er traf früh an einem Samstag ein, als ich – auf Proks Geheiß – mit Iris irgendwohin unterwegs war. Natürlich wollte Prok wissen, was ich von Corcoran hielt, aber an diesem ersten Tag wollte er ihn für sich allein haben, und ich weiß nicht, was, wenn überhaupt, zwischen ihnen passierte, aber ich bin sicher, Prok war wie immer die Höflichkeit in Person und veranstaltete für Corcoran eine VIP-Tour, die mit einem intimen, von Mac zubereiteten Abendessen im Lebkuchenhaus in der First Street endete. Am Tag darauf, am Sonntag also, waren Iris und ich bei Prok zu einem seiner wöchentlichen »musikalischen Abende«, wie er sie nannte, eingeladen, um in Gesellschaft ausgesuchter Freunde und Kollegen einem von Prok zusammengestellten Musikprogramm zu lauschen, und ausdrücklich auch, um Corcoran kennenzulernen.
Wir kamen ein paar Minuten zu spät. Kein Grund zur Sorge, obgleich Prok mich gebeten hatte, möglichst früh zu kommen, damit ich ein wenig Zeit für Corcoran hatte, bevor die anderen eintrafen. In diesem Fall war es Iris’ Schuld. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie sich umgezogen und geschminkt hatte – es war zum Verrücktwerden. Ich ließ die Rezeptionistin fünfmal anrufen, bis sie schließlich die Treppe herunterkam und durch die Tür trat, die ich so lange und intensiv angestarrt hatte, daß ich schon glaubte, ich könnte sie vermittels reiner Willenskraft öffnen. Ich war ungeduldig, vielleicht auch ein bißchen wütend, aber ich muß zugeben, daß sich das Warten gelohnt hatte: An jenem Abend sah Iris atemberaubend aus, ganz in Schwarz, mit einer Perlenkette (einem Familienerbstück, das ihre Mutter ihr geschenkt hatte), und sie hatte einen besonders intensiv roten Lippenstift aufgelegt, der ihrem Gesicht alle Farbe verlieh, die es brauchte. Ich weiß nicht, was es war – vielleicht die Perlen –, aber sie wirkte wie verwandelt, als wäre sie mit einem Mal fünf Jahre älter und besäße die Finesse einer Dame der Gesellschaft, und Sie werden mir nachsehen, daß ich unwillkürlich an Mrs. Foshay und ihr Savoir-faire dachte.
Als wir eintrafen, waren die meisten anderen Gäste bereits da. Es waren fünfzehn bis zwanzig – Professoren und ihre Frauen, Proks Nachbar, zwei ehrfürchtige Studienanfänger, die sich kaum trauten, die von Prok im Raum verteilten Kristallschüsseln mit Cracker, Nüssen und Schokolade auch nur anzusehen. Mac begrüßte uns an der Tür. »John«, hauchte sie mit ihrer atemlosen Stimme, zog mich an sich und gab mir einen Kuß auf die Wange, »und Iris, wie schön, daß ihr gekommen seid.« Sie ergriff Iris’ Hände und umarmte sie, als hätten sie sich jahrelang nicht gesehen.
Die Umarmung dauerte ein klein wenig länger, als ich für angemessen hielt, und ich begann mich unwohl zu fühlen, als wäre ich dort, in der Eingangshalle, einfach stehengelassen worden. Die Blicke der anderen Gäste richteten sich auf uns. »Aber Mac«, sagte Iris und fixierte ihr Gesicht, als wären die beiden dabei, auf telepathischem Wege Geheimnisse auszutauschen, »du weißt doch, daß ich mir das nie im Leben entgehen lassen würde.« Sie lächelte strahlend, so glücklich, wie ich sie nicht mehr erlebt hatte, seit der Einberufungsbescheid gekommen war. All ihr Ärger über Prok hatte sich in diesem Augenblick in Luft aufgelöst. Und das muß ich ihr lassen: Es war nicht gespielt. »Ihr seid einfach die Besten, wirklich, und wir –John und ich – finden es immer so schön, wenn ihr uns einladet. Das weißt du doch. Ich wollte, wir könnten uns revanchieren ...«
»Macht euch keine Sorgen«, sagte Mac, nahm uns die Mäntel ab und führte uns ins Wohnzimmer, »ihr werdet schon was finden. Prok und mir ist es nach unseren Flitterwochen genauso gegangen, und was wir dann schließlich gefunden haben ... Na ja, für euch käme das heute wahrscheinlich gar nicht mehr in Frage.«
Iris murmelte etwas Freundliches. Ich hatte noch immer nicht den Mut gefunden, mit ihr über Mac zu sprechen, aber ich glaube auch, daß jeder, der einmal in einer ähnlichen Situation gewesen ist, verstehen wird, wie groß die Versuchung ist, die schlafenden Hunde nicht zu wecken. Dann standen wir unter den anderen Gästen,
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