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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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danach beteiligte er sich mit Begeisterung an Aktivitäten, die man umgangssprachlich als »Rudelwichsen« bezeichnen würde. Die anderen Teilnehmer waren Jungen aus der Nachbarschaft, und das alles fand zuerst in Lake Forest und dann in South Bend statt, wo Corcoran anscheinend Initiator diverser sexueller Aktivitäten mit Mädchen und anderen Jungen war.
Den ersten Koitus hatte er mit vierzehn, in einem Sommerhäuschen an einem der Seen auf der Michigan-Halbinsel. Offenbar waren in dieser Gegend eine ganze Reihe von Häusern an Gleichgesinnte – das heißt Nudisten – vermietet, und Corcoran und seine beiden Schwestern liefen den ganzen Sommer hindurch unbekleidet herum, »braungebrannt«, wie er später sagte, »bis in die letzte Ritze«. Seine Tante, die Schwester seiner Mutter, führte ihn ein, und dann machte er mit der sechzehnjährigen Tochter eines anderen Sommergasts weiter und probierte jede Form von Triebbefriedigung aus, die ihm einfiel. Er stellte fest, daß er, wie er gern sagte, ein Talent für Sex besaß und diese Aktivitäten mehr genoß als alle anderen, die er kannte, und so dauerte es nicht lange, und er verlor alles Interesse an jungenhaften Vergnügen wie Baseball, Forellenfischen, Kinofilmen und Abenteuerromanen; er widmete sich beinahe ganz und gar der Befriedigung seiner Triebe, und zwar auf so viele verschiedene Arten und mit so vielen verschiedenen Partnern wie möglich. Violet, seine spätere Frau, lernte er auf dem College kennen. Wie er war sie von Anfang an geradezu begeistert von Sex. (Zu diesem Zeitpunkt existierte sie für mich nur als Vorstellung, und ich muß gestehen, daß der Gedanke, ihr Interview zu transkribieren, mich erregte.) Sie hatten zwei Kinder, sieben und neun Jahre alt, beides Mädchen. Gelegentlich luden sie andere Paare ein, und dann hatte Corcoran Sex sowohl mit den Männern als auch mit den Frauen (auf Proks Skala von 0 bis 6 stufte er sich mit 3 ein und hielt sich für ganz und gar bisexuell). Und schließlich – das machte ihn für Prok so wertvoll und bescherte uns eine wachsende Zahl von Daten – besaß er ein schwarzes Büchlein, in dem er seine Eroberungen, die zu diesem Zeitpunkt bereits in die Hunderte gingen, verzeichnet hatte.
Natürlich entspringt vieles von dem, was ich hier über ihn erzähle, meinen eigenen Erfahrungen mit Corcoran – schließlich sind wir jetzt seit vierzehn Jahren Kollegen und haben gewiß keine Geheimnisse voreinander –, und doch waren die grundlegenden Informationen bereits da, in unseren Unterlagen, als ich an jenem Dezembermorgen vor dem Ungewissen Weihnachtsfest des Jahres 1941 zum zweiten (aber nicht zum letzten) Mal gegen Proks Anweisung verstieß. Ich weiß noch, wie ich zwischen all den getrockneten Gallen saß und mein Herz raste, während ich das verschlüsselte Protokoll meines zukünftigen Kollegen las, ich weiß, daß mir die ganze Zeit »Engel auf den Feldern singen« im Kopf herumging und auf dem Korridor die Schritte einer Gruppe Studenten verklangen. Wie konnte ich ihm je auch nur annähernd gleichkommen? Das war es, was ich dachte. Ich war plötzlich sicher, daß ich mir die ganze Zeit etwas vorgemacht hatte und Iris recht hatte: Corcoran sollte mich tatsächlich ersetzen, er sollte meinen Schreibtisch, mein Gehalt und meine Interviews übernehmen und mich aus der Hierarchie eines Projekts entfernen, bei dem ich der erste Mitarbeiter gewesen war. Eine Art Panik überkam mich, und ich mußte aufstehen und auf und ab gehen, um mich zu beruhigen. Ich zählte im Geist meine Vorzüge auf – ich war loyal, ich besaß ein freundliches Wesen und einen Kenntnisstand, der nur von Prok selbst übertroffen wurde, und ich war schon länger dort –, doch wie ich es auch drehte und wendete, ich mußte zugeben, daß Corcoran mich, zumindest auf dem Papier, in allen Belangen übertraf: Er war acht Jahre älter, Vater zweier Kinder, Inhaber eines höheren akademischen Titels, und seine Werte lagen in all unseren Tabellen und Grafiken im oberen Bereich. Jetzt bekam ich Schuldgefühle, ich machte mir Vorwürfe und schämte mich plötzlich. Ich legte den Protokollbogen wieder in den Schrank und drehte den Schlüssel im Schloß.
    Am Neujahrstag zogen wir in unsere neue Wohnung. Sie war keineswegs ideal, zehn ermüdende Blocks vom Campus entfernt, in dem vermutlich heruntergekommensten Viertel von Bloomington, feucht wie eine Gruft, denn das Haus lag am Fuß eines Hügels in ehemaligem Marschland. Drei Zimmer, ein Bad und der

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