Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
war, neben ihr in der Küche gestanden und gelernt, wie man eine gute kleine Hausfrau ist, herzlichen Dank.« Sie grinste und war sehr zufrieden mit sich selbst, und was machte es schon, daß die Küche ein Tohuwabohu war – wir waren gerade eingezogen, und sie hatte für mich gekocht. »Und das Rezept für den Apfelauflauf hab ich in einer Zeitschrift in der Bibliothek gefunden, und weil ich nichts zum Schreiben dabeihatte, hab ich es einfach rausgerissen.« Ein Viereck aus Hochglanzpapier war mit Klebeband an dem Hängeschrank über dem Herd befestigt.
    Ich sah sie wohl streng an (sie wußte ganz genau, daß ich als ehemalige Bibliothekshilfskraft jede Beschädigung von Bibliotheksmaterial, und sei es etwas Nebensächliches wie eine Zeitschrift, mißbilligte), denn sie fügte hinzu: »Sei nicht böse, John. Die Bibliothek der University of Indiana wird das Rezept nicht vermissen. Oder denkst du, daß schluchzende Studentinnen am Ausgabetisch stehen und traurig sein werden, weil sie jetzt keinen Apfelauflauf mehr machen können?«
    In der Innentasche meines Mantels, den ich noch nicht ausgezogen hatte, steckte eine Flasche Bourbon. Ich fand, jetzt sei der rechte Augenblick, um sie hervorzuholen und inmitten des Durcheinanders auf den Tisch zu stellen. »Zur Feier«, sagte ich, nahm zwei Gläser vom Bord und schenkte ein. »Auf dich«, sagte ich. Wir stießen an, und sie korrigierte mich: »Auf uns!«
    Darf ich sagen, daß es das leckerste Essen war, das ich je gegessen hatte? Denn ein großartiges Essen kommt nicht nur durch erstklassige Zutaten, die Könnerschaft bei der Zubereitung oder die Eleganz der Umgebung zustande, sondern auch durch die Stimmung des Speisenden – die infolge der Situation, des Bourbons, der Liebe stark gehoben war –, denn sie kann bewirken, daß jeder Bissen so sinnlich ist wie ein Kuß. Apfelauflauf. Hackbraten. Ich aß wie ein Mann, der einen Monat schiffbrüchig gewesen war, ich aß, bis ich nicht mehr konnte. Dann nahmen wir uns die Bourbonflasche vor – es war ein Dreiviertelliter, und wir waren, fürchte ich, ziemlich beschwipst –, und anschließend fiel ich wie dieser schiffbrüchige Matrose oder vielleicht sein Admiral über meine Frau her.
    So war es am Anfang, so war unser Leben tagein, tagaus. Man nennt es Glück, und wir hatten es, wie man sagt, kübelweise. Der Krieg hing in diesen Wochen und Monaten nach Pearl Harbor drohend über uns wie über allen anderen, aber Prok hielt Wort, und es gelang ihm schließlich, mir eine berufsbedingte Zurückstellung zu verschaffen, indem er all seinen Einfluß geltend machte, all sein rhetorisches Geschick aufwandte und die Einberufungsbehörde davon überzeugte, daß unsere Forschung kriegswichtig war. Iris war entschlossen, ihr letztes Semester zu beenden und den Abschluß als Grundschullehrerin zu machen, nahm aber eine Teilzeitstelle beim Supermarkt an, und das Geld, das sie dort verdiente, dazu meine Gehaltserhöhung, bescherten uns soviel materielle Sicherheit, wie unter diesen Umständen zu haben war. Allerdings mußten wir sehr genau rechnen. Ich schränkte das Rauchen ein, wir gingen nicht mehr in Kneipen oder Bars und beschränkten uns auf einen Kinobesuch pro Woche.
    War es ein Idyll? Nein, natürlich nicht. Die Art unserer Beziehung zu Prok und Mac war noch immer ungeklärt. Sie luden uns regelmäßig zum Essen oder zu einem musikalischen Abend ein, und natürlich war ich sehr viel öfter mit Prok unterwegs, als Iris lieb war, eine wunde Stelle, die mit den Jahren immer quälender zu werden schien. Außerdem war Iris von dem Projekt selbst immer weniger begeistert. »Wir sind im Krieg«, sagte sie. »Die ganze Welt ist bedroht, und ihr fahrt irgendwo in den Hinterwäldern herum und meßt Orgasmen. Ich meine, findest du das nicht auch ein bißchen trivial?«
    »Aber du wolltest doch, daß ich bleibe«, konterte ich. »Du hast doch darauf bestanden. Du warst so unerbittlich wie Lindberghs Redenschreiberin. ›Ich werde dich nicht gehen lassen‹, hast du gesagt. ›Das ist nicht unser Krieg.‹ Weißt du noch?«
    Sie hatte eine Art, die Unterlippe einzuziehen, als wäre sie gerade vergiftet worden, als hätte sie soeben das Glas abgesetzt und würde sich gleich mit letzter wilder Kraft auf den Schurken – also mich – stürzen. »Komm mir nicht damit, John. Mag sein, daß ich gegen den Krieg war, aber das war, bevor die Japaner uns überfallen haben. Jetzt ist es beinahe so, als ob du ... Nein, ich will es nicht sagen.

Weitere Kostenlose Bücher