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Dr. Sex

Dr. Sex

Titel: Dr. Sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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unauslöschliche Geruch der alten Dame, die darin gestorben war – Mrs. Lorbers ältere Schwester, falls Sie sich fragen, woher wir die Wohnung hatten –, aber es war wirklich unsere, und dank Iris’ Talent für Einrichtung war sie bald nicht wiederzuerkennen. Iris hängte zwischen Küche und Wohnbereich einen Perlenvorhang auf, löste die ausgebleichte viktorianische Tapete ab, klebte eine neue an, mit einem beinahe spartanisch anmutenden Muster aus ineinander verschränkten grauen und weißen Rechtecken auf beigem Grund, und dirigierte mich, nachdem sie einen Nachmittag bis in den Abend und zu meiner Rückkehr darüber nachgedacht hatte, beim Aufhängen der vier gerahmten Holzschnitte mit Szenen aus Sturmhöhe, die sie in einer der hinteren Ecken eines Trödelladens entdeckt hatte. Sofa und Sessel hatten wir über Kleinanzeigen gefunden. Prok hatte uns den Nash freundlicherweise als Umzugswagen geliehen, und Ezra half mir, die Sachen durch die schmale Eingangstür zu manövrieren. Wir besaßen ein Bett, ein Doppelbett aus lackiertem Eisen, zu einem Sonder-Sonderpreis beim Trödelhändler gekauft, dazu eine Matratze (»neuwertig«), ein Regal, das die Wand gegenüber dem Sofa etwas imposanter machen sollte, mein Radio sowie eine Reihe blauer Glasvasen mit verschiedenen Trockenblumensträußen und Schildblumen, die Mac uns zusammen mit einem Sortiment Töpfe und Pfannen zur Hochzeit geschenkt hatte. Auch Prok war mehr als großzügig gewesen und hatte mir gerade zur rechten Zeit ein Weihnachtsgeld gegeben und außerdem das Versprechen, mein Gehalt ab Anfang des Jahres um fünf Dollar auf fünfzig pro Woche zu erhöhen.
    An jenem Abend aßen wir Sandwiches aus einer braunen Papiertüte und saßen mit untergeschlagenen Beinen auf der Matratze, die noch auf dem Boden lag, weil wir zu erschöpft waren, um das Bett aufzubauen. Wir teilten uns eine Flasche Bier, und dann machten wir noch eine auf. Ich hatte das Radio eingeschaltet – Benny Goodman spielte »Don’t Be That Way« oder vielleicht auch etwas Sanfteres, Süßeres –, lehnte an der demnächst nackten Wand und hielt Iris in den Armen. Der Duft ihres Haars, frisch gewaschen in unserem eigenen Waschbecken im Badezimmer, war der Duft eines neuen Anfangs, des Beginns eines selbständigen, erwachsenen Lebens, gemeinsam und unzertrennlich. Ich kann nicht beschreiben, welchen Frieden ich an diesem Abend empfand. Wir saßen auf unserer neuen Matratze und bewunderten bis lange nach Mitternacht unsere neuen Wände, unsere neue Wohnungstür, unseren neuen Perlenvorhang; das Bier ließ uns sanft dahinschweben, und die Musik wogte sacht auf ihrem eigenen Strom dahin. Mrs. Lorber und die diversen Rezeptionistinnen waren nicht mehr Teil unseres Universums. Ezra konnte sich waschen oder es lassen – es kümmerte mich nicht mehr. Der Rücksitz des Nash war Vergangenheit. Wir hatten unsere eigene Wohnung, ein eigenes Heim, und konnten jederzeit, ob Tag oder Nacht, tun, was immer wir wollten, ohne einen Gedanken an die Scheinwerfer eines anderen Wagens, an tödliche Abgase oder an die Nacht, die uns umgab wie ein feindliches Territorium.
    Als ich am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, hatte Iris sich ein Kopftuch und eine Schürze umgebunden. Es roch stark nach etwas ganz anderem als Mrs. Lorbers verstorbener Schwester und den schwarzen Streifen, die die Konturen der von ihr übernommenen Küchenmöbel nachzeichneten. »Was ist das, Iris?« fragte ich und schob mich rasselnd durch den Perlenvorhang. »Das riecht, na ja, gutoder anders.«
    Der wacklige, mit uralten dunkelgrünen Lackschichten überzogene Küchentisch war ein Katastrophengebiet. Jeder Teller, den wir besaßen – es waren lauter gebrauchte, mit angeschlagenen Rändern, die wir meiner Mutter und einer Truhe im Keller ihres Hauses in Michigan City verdankten –, war entweder verkrustet oder in irgendeinem Schmier gebadet. Mehl und Zucker waren verstreut, Eierschalen lagen herum, Haufen von Kartoffel- und Apfelschalen, etwas, das aussah wie eine Gemisch aus Ketchup und Worcestersauce, und natürlich Gewürze, wobei Majoran, wenn ich mich nicht irre, besonders stark vertreten war.
    Sie lächelte, schlang mir die Arme um den Hals und küßte mich. »Hackbraten«, sagte sie, »mit gratinierten Kartoffeln und grünen Bohnen. Und als Nachtisch gibt’s Apfelauflauf. Das Rezept für den Hackbraten und die Kartoffeln hab ich von meiner Mutter – schließlich hab ich all die Jahre, als ich auf der Highschool

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