Drachen der Finsternis
geschmiedet, aus dem Metall der Träume, und dein König hat dir dabei geholfen.«
»Was wollt Ihr?«, zischte die Königin.
»Ich will, dass du nicht vergisst«, flüsterte der Mönch, und dann sagte er laut: »Ich will Euch einen Rat geben, meine Königin. Er wird Euch nicht viel kosten.«
»Ich brauche den Rat eines alten Mönches nicht«, antwortete sie laut und deutlich, für alle hörbar. »Keine Rupie gebe ich dir dafür!«
Sie nickte mit ihrem schönen Kopf den Soldaten zu, und zwei von ihnen packten den Mönch an den Schultern, um ihn aus dem Zug zu entfernen. »Verschwinde«, zischte die Königin, »nimm die Vergangenheit mit zurück in deine Berge, und komm nie, nie wieder.«
Es gab einen kleinen Tumult in der Menge, als der Mönch in seinem weithin leuchtenden, orangefarbenen Gewand zwischen den Menschen landete. Er stürzte, und die Menschen wichen auseinander. Dutzende von Hände halfen ihm auf, doch es war, als wüssten die Menschen nicht recht, wohin sie sehen sollten. Was war geschehen zwischen diesem Mönch und der Königin?
Sie fragten ihn, doch er antwortete nicht. Er hob den Saum seines Gewandes, der in den Dreck gefallen war, und verschwand durch die Gassen aus der Stadt. Christopher sah ihn als orangefarbenen Fleck in den Schatten zwischen den Häusern untertauchen. Und er spürte seine Enttäuschung und seine Wut.
Aus den Herzen jener Menschen, dachte er, die dem Mönch aufgeholfen hatten, waren die Märchen entsprungen: Jene Märchen, die alle ein Körnchen Wahrheit in sich trugen.
Das Bild wechselte abrupt, und Christopher fand sich in einem Garten wieder.
Grüne Schatten lagen auf den Kieswegen, und hinter den Bäumen sah er die Mauern eines prächtigen Gebäudes aufragen: der Palast. Über dem Garten lag ein blauer Himmel. Hatte Jumar nicht von einer riesigen Glaskuppel erzählt, die den Garten abschirmte? Aber nein: Dies war vierzehn Jahre früher. Es gab noch keine Glaskuppel.
In einem hölzernen Liegestuhl im Garten saß eine schöne Frau, die Augenbrauen mit schwarzer Kohle nachgezogen, was ihr einen erstaunten Ausdruck verlieh. Jetzt trug sie einen schlichten, roten Sari und nur einen schmalen Goldreif am Arm: die junge Königin. Unter dem Stoff ihres Saris jedoch wölbte sich ihr Bauch, in dem das Leben eines Kronprinzen darauf wartete, das Tageslicht zu sehen. Die Königin summte vor sich hin, las in einer Zeitschrift und schien sich allein zu glauben – aber sie war es nicht: Verborgen in den zerklüfteten Schatten eines alten Banyanbaumes sah Christopher die Gestalt eines Mannes stehen, beobachtend, wartend. Es war der Mönch.
In dem Moment, in dem Christopher ihn entdeckte, hob er die rechte Hand, sein ausgestreckter Zeigefinger wies auf die Königin, und da geschah etwas Seltsames: Die Luft über dem Platz, an dem die Königin saß, begann zu brodeln, es war, als sammelte sich dort etwas, als flögen Tausende von winzigen verschiedenfarbigen Fetzen herbei und vereinten sich zu einem Ganzen', verdichteten sich zu einer Gestalt – da war ein Rauschen in der Luft wie von Tausenden von Flügeln, ein Flirren und Flimmern, ein Flattern und Schwirren. Woher kannte Christopher dieses Geräusch nur?
Die Königin hatte jetzt den Blick nach oben gewandt; er sah, wie sich ihre Augen voller Entsetzen weiteten. Die Zeitschrift entglitt ihrer Hand und segelte lautlos zu Boden. Die Königin öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Laut verließ ihre Lippen. Einen Moment später hatte die bunte Wolke sie eingehüllt. Christopher blinzelte, doch noch immer konnte er keinen Umriss erkennen.
Dann erhob sich das Flattern und Flirren, das Schwirren und Flügelschlagen, stieg in die Luft empor – und nun, nun begann es, Gestalt anzunehmen. Es wuchs nach den Seiten, dehnte sich, streckte und reckte sich, wurde größer und größer, entfaltete schließlich zwei riesige, schimmernde Flügel, streckte einen langen, grazilen Hals –
Ein Drache.
Der erste Farbdrache.
Die Königin umfasste mit einer Hand die Wölbung ihres Bauches, und auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck von Angst und Unglauben. Kurz darauf zog der Drache über dem Garten die erste Schleife seines Lebens und flog in Richtung der nördlichen Berge davon. Christopher blickte zu dem Banyanbaum hinüber. Die Schatten um seinen Stamm lagen dunkel, geheimnisvoll und verlassen. Der Mönch war nirgends mehr zu sehen.
Christopher schlug die Augen auf.
Das Licht der Petroleumlampe flackerte und schickte ihre Schatten in
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