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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Worte in der Luft – Worte, die nichts mit Beeilung zu tun hatten und die sich ganz von selbst zu murmeln schienen. Mit der Stimme eines Thronfolgers zum Beispiel, dessen letzte Begegnung mit einem Fluss weniger begeisternd ausgefallen war:
    »Frische Tomaten –«
    Oder der Stimme einer abtrünnigen Kämpferin, zu jung für ihr Leben: »Reis –«
    Und dann waren sie am Ufer, und dann standen sie im Fluss, die Schuhe über den Schultern, die Hosenbeine im Wasser, getränkt mit der Strömung.
    Christopher bückte sich, tauchte auch seine Hände hinein und schloss für einen Moment die Augen. Es war, als hätte er jahrelang kein Wasser mehr gesehen, gefühlt, gerochen, geschmeckt.
    Der Staub und die Hitze, die hohe Sonne des schier unendlichen Kali-Gandaki-Tals hatten alle Erinnerungen an Wasser in ihm ausgelöscht: begraben unter einer Welt aus trockenem Kies, Tierknochen, Papierfetzen. Niyas Stimme zerschnitt seine Gedanken.
    »Wenn wir zu der Insel wollen, müssen wir hindurchschwimmen«, sagte sie. »Es wird schnell tief.«
    Christopher seufzte – sehnsuchtsvoll. »Es gibt nichts, was ich lieber täte.«
    »Schwimmen wir alle?«, fragte Jumar. »Es würde reichen, wenn einer von uns nach dem Weg fragt.«
    »Und wenn die Insel nicht so friedlich ist, wie sie vorgibt zu sein?«, meinte Arne. »Sollten wir nicht zusammen gehen?«
    Jumar schien zu überlegen, doch schließlich nickte er. Dann stopfte er alle ihre Schuhe in seinen Rucksack – fürchtete jedoch um das Wacholderholz: und fand eine unromantische, alte Plastiktüte in den Tiefen seines Gepäcks, in die er das Herzstück ihres wahnsinnigen Plans wasserfest verknotete. Schließlich nahm Arne den Rucksack auf den Rücken und bedeutete Jumar, ihm in den Fluss zu folgen. Jumar folgte, und Christopher glitt nach ihm ins wunderbar kühle Wasser.
    In der Mitte zwischen Ufer und Insel drehte er sich nach Niya um.
    Und was er sah, verblüffte ihn so sehr, dass er einen Moment lang vergaß zu schwimmen:
    Er sah Niya – oder besser: Niyas Kopf, und dann sah er ihn nicht mehr. Da war ein Arm – ein zweiter – wieder ein schwarzer Haarschopf, Finger, ins Leere greifend – hilflos; verzweifelt.
    Niya, die Kämpferin, kämpfte mit dem Kali Gandaki um ihr Leben, einen keuchenden, gurgelnden, würdelosen Kampf. In Christopher tauchte ein Gedanke auf: Ein Krampf in einem Fuß – hierzulande und bei ihrer Dosendiät wahrscheinlicher – aber nein. Die Wahrheit drängte sich klar und gemein in sein Bewusstsein: Niya konnte nicht schwimmen.

Arne im Staub
    Sie, die Rebellin, die besser reiten konnte als der Teufel – die von einem galoppierenden Pferd aus auf fünfzig Meter Entfernung einem Soldaten den obersten Knopf von der Uniformjacke schießen konnte – die jedes Geheimnis des Himalaja und seiner Dschungeltäler kannte, jede Spur, jeden Stern, jeden Stein – sie konnte nicht schwimmen.
    Und sie war zu stolz gewesen, um es zuzugeben. Wegen einer dummen, grünen Insel voller Tomaten war sie ihnen in den Fluss gefolgt und hatte sich in diesen Kampf gestürzt, den sie nicht gewinnen konnte. Wem, fragte sich Christopher ärgerlich, wollte sie etwas beweisen? Den Tomaten?
    All dies dachte er in der Zeit, die nötig ist, um einmal tief Luft zu holen. Der Zeit, die nötig ist, um drei Meter zurückzuschwimmen – um eigentlich was zu tun?
    Er streckte einen Arm nach dem panischen Strudeln aus, in dessen Mitte es irgendwo einen Kopf voll schwarzem Kurzhaar gab, und dachte: Arne hat einen Rettungsschwimmer – aber Arne ist zu weit weg.
    Er bekam etwas zu fassen – eine Schulter? – sie entglitt ihm wieder, und er dachte: Ich weißt nicht, wie –#
    Er trat Wasser, paddelte auf der Stelle, spürte die Strömung, die er bisher kaum bemerkt hatte, spürte, wie sie Niya gierig mit sich riss, und dachte: Das ist das verdammte dritte Mal, dass auf dieser Reise jemand versucht zu ertrinken.
    Und dann dachte er: Aber ich muss.
    Und er schwamm ihr nach, ihr und der Strömung, griff in das Chaos aus Armen, Händen, Schultern – sie schien Tausende davon zu haben – und packte zu. Wie sie sich wehrte! Als wäre es nicht der Fluss, der sie zu erdrosseln versuchte, sondern er, Christopher.
    Sie schlug um sich, traf auch hier und da, blind, ziellos. Doch Christopher ließ nicht mehr los. Er fand ihren Nacken – schlang von hinten einen Arm um ihren Brustkorb und begann, sie mit sich zu ziehen: Und er fand eine Entschlossenheit in seinen Bewegungen, die nicht seine eigene war ...

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