Drachen der Finsternis
sind eine so schöne anonyme Sache«, sagte der Alte paradox. »Sie sagen einem gar nichts, völlig ungefährlich. Tun aber der Höflichkeit Genüge. Belassen wir es also dabei. Mein eigener Name lautet Tarmin. Und ich würde mich freuen, euch in mein bescheidenes Haus einladen zu dürfen.«
Christopher sah Jumar an, und Jumar zuckte kaum merklich die Schultern.
Etwas war seltsam an dem Alten. Aber noch konnte Christopher nicht sagen, was. Da war so ein Glitzern in seinen Augen, gerade unter der Oberfläche des Blicks, so ein Flackern in seiner Stimme, gerade unter der Oberfläche der Worte –
»Wir ... wollten eigentlich nur nach dem Weg fragen«, sagte Jumar. »Dem Weg zum Flughafen. Das Tal teilt sich nicht weit von dieser Insel, und eines der beiden muss zum Flughafen führen.«
»Alles zu seiner Zeit«, sagte der Alte.
Er führte sie einen schmalen, sandigen Pfad entlang, umrahmt vom Grün seines Gartens: Blätter fächelten im Wind, der vom Wasser herkam, grüne Stängel bogen sich leise, Insekten surrten zwischen Blüten, Knospen träumten, und unreife Orangen hingen abwartend in den Ästen eines Orangenbaums.
»Ein schöner Garten«, sagte Jumar. »Aber wir haben nicht viel Zeit. Wenn Ihr uns einfach sagen würdet, welchen Weg wir nehmen müssen ...«
Doch der Alte ging nicht darauf ein.
»Dieser Garten und ich«, antwortete er mit dem Stolz sprießender Keimlinge, »wir leben zusammen seit – lasst mich nachrechnen – sechsundvierzig Jahren.«
Er zog einen Vorhang in der Türöffnung der groben Steinmauern zur Seite, und sie betraten das Innere des Hauses. Hier hing schwer und süßlich der Geruch von Räucherstäbchen. Christopher sah ihre hellen Augen im Dunkeln an den Wänden glühen –
es mussten ein Dutzend sein oder mehr. Hatte der Alte nach einem Leben voll Blumen und Gemüse genug vom Duft seines Gartens? Konnte er den Geruch der Blüten nicht mehr ertragen?
»Setzt euch«, sagte er. Es gab einen einzigen, niedrigen Tisch in einer Ecke der Hütte, kniehoch, umgeben von Sitzkissen. »Ich werde euch erklären, welchen Weg ihr nehmen müsst. Aber ich bekomme nicht oft Besuch. Lasst mir die Freude, euch zu bewir-ten.«
Jumar seufzte. Doch sie ließen sich in ihren nassen Kleidern auf den Kissen nieder, und der Alte nickte zufrieden.
»Es ist gut, dass ihr heute gekommen seid. Bis gestern war ich fort. Ich schätze Besuch. Wir haben Besuch immer geschätzt. Er gibt einem das Gefühl, nützlich zu sein. Wenn ich die Wanderer durch das Tal kommen sehe, hole ich sie mit meinem Boot. Euch habe ich nicht rechtzeitig gesehen. Manche zahlen für meine Dienste, andere haben kein Geld. Es tut nichts zur Sache. Der Fluss hat uns stets seinen Fisch gegeben und der Garten den Rest.«
Er lächelte und stellte einen Krug mit Wasser und fünf Metallbecher auf den Tisch.
Warum sprach er andauernd von wir und uns?
»Seid meine Gäste. Es ist nicht mehr viel übrig –«
Er begann, mit Tellern zu hantieren. »Hier ist noch etwas Reis und ein wenig Gemüse... das ist alles, was übrig ist. Mehr haben sie mir nicht gelassen. Ich hatte noch etwas versteckt, man weiß nie...«
Vor wem?, dachte Christopher. Wer hatte ihm nicht mehr übrig gelassen?
»Dies ist das letzte Essen, das es in diesem Haus gibt, und ihr werdet es mit mir teilen.«
»Das – letzte?« fragte Niya.
Der Alte nickte. »Alles wird sich ändern. Wir nähern uns einer neuen Zeit. Vielleicht wird man sie sogar anders zählen als die jetzige. Vielleicht beginnen wir wieder beim Jahr null. Wer weiß?«
Vielleicht, dachte Christopher, war er verrückt. Vielleicht sollte man sein Essen besser nicht essen. Doch noch während er es dachte, begann seine rechte Hand ganz von selbst, Reis und Gemüse in seinen Mund zu schaufeln. Sie hatten zu lange vom Inhalt abgelaufener Konservenbüchsen gelebt. Von zu wenig Inhalt zu weniger abgelaufenener Konservenbüchsen. Der Hunger war größer als die Vernunft und größer als die Eile, weiterzukommen.
»Zwei Tage war ich weg«, fuhr der Alte fort. Es war, als hätten sich die Worte in ihm angestaut und müssten heraus, weil er sonst explodierte. Wie lange hatte er alleine auf der Insel gelebt? Und, wer immer sie waren, weshalb war er die Worte nicht an sie losgeworden? Vielleicht hatten sie es ebenfalls eilig gehabt. Er spürte Jumars Nervosität beinahe körperlich, und er selbst wurde auch langsam unruhig.
»Der Fluss, müsst ihr wissen, versiegt unterhalb der nächsten Biegung wieder. Beide
Weitere Kostenlose Bücher