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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Fracht des Flusses zu bergen.
    Doch man soll den Dingen nicht vorgreifen ...
    Das letzte Stück des Weges ins Tal hinab war steil und bestand einmal mehr aus Stufen. Es dauerte, bis sie auf Höhe des Flusses ankamen. Bisher hatte Christopher geglaubt, es wäre anstrengender, aufwärts unterwegs zu sein, doch seine Knie begannen zu zittern, und die Treppen schienen nicht enden zu wollen. Manchmal glaubte er, die Kontrolle über seine Füße zu verlieren, sah sie ganz von alleine losrennen, sah sich darüber stolpern und auf dem kürzesten Weg in die Tiefe stürzen ...
    »Langsam, laaangsam«, sagte Niya. »Das ist das Geheimnis.«
    Unten, am Fluss, strahlten ihnen Häuser entgegen wie eine Oase. Die sich windende Schlange des Militärs hatte sich längst außer Sichtweite gewunden, doch dort unten gab es noch immer Leben in den Gassen – ameisengleich krochen die Menschen darin umher, schwarze Punkte, die ein Nachtlager versprachen.
    »Was glaubst du, wie lange ist es bis zu dem Dorf dort unten?«, fragte Christopher.
    »Wenn es hochkommt, eine Stunde«, antwortete Niya, und Arne grinste und sagte: »Aber ich fürchte, es kommt nicht hoch. Ich fürchte, wir müssen hinuntersteigen.«
    Es wurde bereits dunkel, als sie den Fluss rauschen hörten.
    »Das ist das Schönste, was ich seit Langem gehört habe«, erklärte Arne, und niemand widersprach ihm. Ja, sie waren wieder in einem Teil des Landes angekommen, in dem Flüsse rauschten und grüne Bäume mit riesigen Blättern von lianenumrankten Stämmen winkten, wo Vögel im Urwald lärmten und Zikaden unsichtbar im Unterholz Elektrozäune imitierten und verborgen im Unterholz Affen krakeelten.
    Die Höhe war nur eine vage, unwirkliche und verblichene Erinnerung, der Schnee, das Eis, die Mondlandschaften kaum noch wahr.
    Aber selbst in der Dunkelheit ahnten sie, dass die Bäume nicht so grün waren, wie sie erschienen. Das Licht der Sterne fiel auf graue Flecken im Wald und auf farblose Blumen, und einigen der Hausdächer fehlte die Farbe.
    Der Ort besaß eine breite Brücke aus starken Holzbohlen, besser: Teile des Ortes lagen auf jener Brücke. Häuser drängten sich dicht an dicht über dem Wasser; Blumen wuchsen aus alten Metallkanistern und zerbrochenen Kannen, ein Weihnachtsstern, groß wie eine Ulme, winkte mit seinen vereinzelten roten Blüten vom Ufer her, und irgendwo ertönte aus einem Fenster das unzusammenhängende Gequäke eines empfangsgestörten Fernsehers, in dessen Satellitenschüssel auf dem Wellblechdach ein Huhn nistete.
    Vor einer der Hütten auf der Brücke hing ein Schild, das großartig verkündete:
    HOME MAD MOMOS FRESH.
    Daneben war ein Bild von einem schielenden Menschen mit zu kurzen Beinen und sehr langen Armen, der vor einem Teller voller blasser Halbmonde saß. Das Bild war schwarz-weiß, obgleich es schien, als wäre es früher farbig gewesen.
    »Wenn sie wirklich Momos machen, auch ohne dass Touristen da sind ... das wäre wunderbar«, sagte Niya. »Erstens kann ich kein Dosenessen mehr sehen, und zweitens ist der Rucksack ... mit Jumar ... verschwunden.«
    Sie verstummte, und Christopher dachte daran, wie hungrig er war und dass es doch schrecklich war, ans Essen zu denken, wo Jumar nie wieder zusammen mit ihnen essen würde.
    Aber sein Hunger drängte sich in den Vordergrund.
    »Was sind Momos?« fragte er.
    »Eine Art Ravioli«, erklärte Arne – sichtlich froh, dass sie das Thema des Rucksacks und seines Besitzers nicht weiterverfolgten. »Sie sehen tatsächlich so aus wie auf dem Bild. Nur, dass man nicht unbedingt immer schielt, wenn man sie isst.«
    Eine Frau mit einem Kind auf dem Arm erschien jetzt in der Tür des Vielleicht-Restaurants und warf ihnen einen misstrauischen Blick zu. An Arnes blonden Haaren erkannte sie vermutlich einen Touristen, ohne zu begreifen, was er hier tat oder weshalb er in Begleitung von zwei jungen Maoisten war. Ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Angst und Neugierde, und sie schien sich nicht recht zwischen beidem entscheiden zu können.
    Arne entschied.
    Er schenkte ihr sein umwerfendstes Lächeln und sagte: »Wir sind unglaublich hungrig. Ob wir hier wohl richtig sind?«
    Da nickte sie und führte sie in einen verlassenen Raum mit drei Tischen, auf denen die Plastikblumen einstaubten. Wie kamen die Leute bloß auf die Idee, Touristen hätten diese besondere Vorliebe für Plastikblumen?
    »Setzt euch«, sagte die Frau, und das Kind auf ihrem Arm beobachtete sie großäugig und

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