Drachen der Finsternis
gezogen, damit du mich verrätst. Ich habe große Stücke auf dich gehalten. Du magst es nicht glauben, aber es tut mir beinahe selbst weh, dich auf diese Weise gehen zu sehen.«
Der große T.
Der Mann ohne Namen, der sich auf ewig hinter einem nichtssagenden Anfangsbuchstaben verstecken würde. Hier stand er, mitten in der Stadt, wo niemand ihn vermutete, und beobachtete die Arbeit seiner Leute.
»Wenn wir mit dir fertig sind«, sagte er, und seine Stimme war freundlich, beinahe galant, »dann wird unser Kampf endlich beginnen. Der Kampf, an dem du teilnehmen wolltest, weißt du das noch, kleine Niya? Sag uns, wie du uns schaden wolltest. Noch können wir deinen Fehler rückgängig machen. Wenn du sprichst, pfeife ich meine Männer zurück. Sterben wirst du so oder so, aber es gibt Unterschiede ...«
Sie hob den Kopf noch einmal. Und diesmal sah sie. Nein, sie sah nicht den großen T, auch wenn er glaubte, dass sie ihn ansah. Sie sah die beiden auf dem flachen Dach über ihm.
Und ihre glühenden Augen blickten bis auf den Grund von Christophers Herzen.
Sie flehten um Hilfe.
Wenn einer von uns ihnen im Chaos in die Hände fällt, sagte ihre Stimme in seiner Erinnerung, und es nicht möglich ist, ihn zu befreien – dann müssen die anderen ihn töten. Der Tod ist besser als das, was sie mit Verrätern tun ... der Tod selbst ist nicht schlimm, solange er rasch kommt.
Er sah die Angst in ihren Augen. Blanke, nackte Angst.
Sie hatte keine Kraft mehr.
Der Mann unten im Hof ließ die Zigarettenspitze jetzt genau vor jenen Augen schweben.
Christopher sah Jumar an, und Jumar erwiderte seinen Blick.
Sie nahmen die Gewehre gleichzeitig von der Schulter, rasch, ohne zu zögern. Das Zögern spielte sich nur innerlich ab. Sie hatte die Bewegungen tausendmal geübt, im Schnee, in der Kälte, in der Anonymität des Basislagers. Und zum ersten Mal war Christopher froh darüber, dass er das Schießen trotz seiner Abneigung gelernt hatte. Er konnte schießen, während er im Staub lag, er konnte schießen, obwohl ihm jemand die Beine unter dem Körper wegkickte, er konnte schießen, während er zitterte vor Kälte.
Jetzt war es, als müsste er ersticken, und dennoch blieben seine Hände ruhig, nur sein Herz flatterte. Er hörte ihr Lied, vernahm wieder die Töne ihrer Gitarre in einer klaren Nacht im Schnee:
Zuerst kommt der Tod, der uns befreit,
und sie fragen mich: Bist du zu sterben bereit
Für die Träume, die Ruhe, den Schlaf,
den Frieden im Land deiner Väter?
Und ich sage: Die Träume, die Ruhe, der Schlaf,
der Frieden: Das alles kommt später ...
Er zielte. Neben ihm Jumar. Gleichzeitigkeit. Dieses Klicken. Er hasste dieses Klicken. Er konnte nichts sehen. Die Tränen nahmen ihm die Sicht. Sie legten sich wie ein Film aus Unschärfe über die Szene im Hof. Er blinzelte sie fort. Er konnte sie nicht gebrauchen. Er zielte.
Die Zigarettenspitze vor ihren Augen. Sie versuchte, sich wegzudrehen.
Das Glühen. Das Metall in seinen Händen. Dann der Knall, die Explosion.
In seinem Kopf Bilder wie Kapitelüberschriften: Niyas Worte, Niyas Rache, Niyas Lied, Niyas Hände –
Die beiden Schüsse zerrissen die Luft als ein einziger.
Die Hand des Mannes fand ihr Opfer nicht, blieb in der Luft hängen: verblüfft. Er ließ die Zigarette fallen und griff in das Blut vor sich. Dann erst drehte er sich um, blickte auf – sie alle blickten auf, dorthin, woher die Schüsse gekommen waren: zum Dach.
Doch auf dem Dach war niemand mehr zu sehen.
Jumar hatte ihn mit sich hochgerissen; sie rannten geduckt, rannten um ihr Leben.
Christophers Gedanken und seine Wahrnehmung vermischten sich als lose Fetzen:
Die weißen Treppenstufen blitzten durch einen Schleier aus Tränen auf, mein Herz ist gierig nach Frieden, beinahe stolperte Christopher, doch er fing sich wieder: Frieden im Land meiner Väter. Die Straße. Eine andere Straße. Schon so dunkel jetzt, beinahe Nacht – mein Herz ist gierig nach Frieden – kein Mensch mehr zwischen den Häusern – doch sie sagen, der Frieden kommt später.
Schritte auf dem Pflaster, irgendwo – wo? Hinter ihnen. Nicht umdrehen. Weiter. Haken schlagen. Der Umriss eines Schreins am Rand der Straße, am Fuß eines alten Baumes: eines heiligen Baumes, gewickelt in einen gelben Sari, behängt mit Blütengirlanden. Richtig: Sie waren wieder im Hoheitsgebiet des Hinduismus. Im Schrein, kommodengroß: ein Gott von Affengestalt, orange angestrichen: Hanuman. Jumars Hand. Wohin?
Zuerst kommt die
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