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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Frühstück gab es Dhal Bhat.
    Er hätte es ahnen können.
    Die kleine Frau entschuldigte sich, weil so wenig abwechslungsreiche Kost eines Königssohnes wohl nicht würdig wäre, und dann war sie sehr schweigsam. Christopher würgte etwas Reis mit geschmacksbefreiter Linsensauce herunter.
    »Man muss viel essen, wenn man lange wandern will«, sagte Jumar. Die kleine Frau nickte, aber er sagte es natürlich zu Christopher. Der zuckte zusammen und tauchte seinen Löffel gehorsam in den Reis. Jumar schien mit den Fingern zu essen, genau wie die Frau. Er musste ihn bei Gelegenheit fragen, wie man das anstellte, ohne den gesamten Reis über den Boden zu verteilen, und war zunächst froh, dass Kronprinzen Löffel bekamen.
    Im Garten hinter dem blauen Zaun streckten die Blumen ihre Gesichter der Sonne entgegen.
    Jumar bezahlte (sozusagen durch Agenten) einen königlichen Preis für ihre Übernachtung, doch die Frau sah traurig aus, als sie das Geld nahm. Sie stand lange am Tor und sah ihnen nach, wie sie den alten Touristenweg entlangwanderten, in Richtung Poon Hill, zu den Wolken.
    Das Licht des neuen Morgens hatte wieder Leben in die Gassen gebracht. Vielleicht hofften die Menschen, der Drache wäre nur ein Albtraum gewesen. Eine Ziege stand in den Ästen eines niedrigen Baumes und knabberte an dessen jungen Trieben. Aus einem Fenster drang knirschende Radiomusik, die wenigstens zwei Sender in sich vereinte. Ein kleiner Junge trieb mit einem Stock einen Fahrradreifen die holprige Gasse entlang, und eine Gruppe winziger, großäugiger Kinder folgte dem Jungen in den westlichen Kleidern eine Weile. Ihre Kleider waren starr vor Dreck, und sie hielten sich aneinander fest und glucksten vergnügt, denn es war doch schön, dass endlich wieder ein Fremder sich ins Dorf verirrt hatte, und vielleicht hatte er Bonbons oder irgendetwas anderes mitgebracht? Christopher bekam aus dem Nichts eine Tüte in die Hand gedrückt und verteilte bunte Fruchtgummidrops.
    Ein schläfriger Hund hoppelte auf drei Beinen davon. Ein Hahn krähte verspätet.
    Man hätte sich keinen friedlicheren Morgen wünschen können.
    Und doch lagen auf den Feldern vor dem Dorf die hohlen Statuen aus Bronze und würden nie wieder als Menschen durch diese Gassen gehen.
    Hinter dem Dorf tauchten Christopher und Jumar wieder in den Wald ein, und dann begannen die Treppen.
    Jetzt standen sie nicht mehr vereinzelt: Der Weg war eine Treppe. Eine unendliche, steile, steinerne Treppe. Ihre Stufen waren grob gehauen und hier und da von Moos bewachsen. Im Schatten der Bäume glänzten sie glitschig.
    »Das ist nun wahrhaft interessant«, sagte Jumar. »So eine lange Treppe habe ich noch nie gesehen.«
    Nach einer Weile sagte er: »Sie ist noch viel länger, als ich dachte.«
    Und dann: »Es ist doch wirklich eine schöne Sache, so eine Treppe zu haben, aber langsam ...«
    »Langsam könnte sie aufhören«, keuchte Christopher.
    Doch die Treppe hörte nicht auf. Manchmal tat sie so, aber das war nur ein Trick. Sie wanderten ein kurzes Stück ebenen Weges entlang, gingen um einen Ecke – und fanden sich vor einer weiteren endlosen Flucht von Stufen.
    Der Schweiß lief in Strömen an Christopher hinab, und er spürte das Blut in seinem Kopf pulsen. Die Luft stand reglos –jetzt erschien es ihm wie eine Illusion, dass er nachts gefroren hatte. Die Moskitos freuten sich über den Geruch der Fremden und schwebten lautlos und langbeinig aus den Schatten, sobald sie eine Pause einlegten. Wenn sie sich auf Jumar niederließen, sah es aus, als säßen sie in der Luft.
    Die endlose Treppe führte an einem Flusstal entlang. Manchmal sahen sie tief unten das Türkisblau des Wassers vorbeiströmen, und manchmal sahen sie in der Ferne hinter den bewaldeten Bergen Hügel voller Schnee blitzen. Im Wald lieferten sich Zikaden und Vögel einen Wettstreit von aufdringlicher Lautstärke, und einmal sah Christopher drei graubärtige Affen im hohen Blattwerk verschwinden. Blaue Schmetterlinge schienen an den Rändern von Pfützen ihr Spiegelbild zu beäugen, blütenlose Baumorchideen hängten ihre grünen Blätter wie Bärte aus Baumgabeln, und graue Flechten malten ihre verschlungenen Muster zwischen übergroßen Pilzen auf die modrigen Baumstämme. Und ab und an bot sich ihnen der Ausblick auf einen Wasserfall, in dessen Tropfen die Sonne Regenbogen malte.
    »Jetzt – jetzt – begreife ich«, keuchte Jumar auf einem Absatz der Treppe, »was die Leute meinen, wenn sie von atemberaubender

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