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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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jetzt einen Schleichweg, dessen Beginn wir nicht kennen, und während wir ihn entlangschleichen, fällt dir ein Plan ein, wie man zu zweit eine Armee außer Gefecht setzen kann.«
    »Genau so«, sagte Jumar.
    Zunächst aber geschah etwas ganz anderes.
    Die heißen Quellen, die dem Ort seinen Namen gegeben hatten, waren nicht schwer zu finden: Die Touristen hatten blaue und weiße Schilder hinterlassen wie eine Art merkwürdiger Fußstapfen. Die seltsam verstümmelten englischen Hinweise auf den Schildern erfüllten Christopher mit Traurigkeit, sie waren wie die Gegenstände in einem verlassenen Haus, dessen Bewohner keine Zeit gehabt hatten zu packen.
    War Arne hier entlanggegangen? Er konnte sich vorstellen, wie er seine forschen Schritte pfeifend in den Morgen setzte, sich das blonde Haar aus der Stirn blies und zu sich sagte: »So, dies also sind die berühmten heißen Quellen von Tatopani.«
    »So«, sagte Christopher. »Dies also sind die berühmten heißen Quellen von Tatopani.«
    Die Sonne, die durch die Blätter der Baumkronen hoch über ihnen fiel, malte verschlungene Kringel auf die Wasseroberfläche zweier kleiner Becken, und die Felsen, die sich dahinter erhoben, glitzerten in ihrem Licht. Kleine Rinnsale suchten sich dort ihren Weg zwischen wippenden Farnbüscheln, und eine träge Spinne hatte in ihrem Netz schillernde Wassertropfen gefangen wie winzige Edelsteine.
    Eine Gruppe Mädchen kniete am Rand des ersten Beckens und wrang die Seife aus bunten Stoffen.
    Nu allow nude for swim, verkündete das letzte blaue Schild streng. Es sagte allerdings nichts über nacktes Waschen von Kleidern aus: Die Blusen der Mädchen waren so nass, dass sie mehr entblößten, als sie verbargen, und Christopher blieb stehen und beobachtete sie fasziniert. Dann bemerkte eine ihn und stieß die anderen an, und einen Moment später drängten sie sich kichernd auf dem schmalen Pfad an ihm vorüber, um hinter der Wegbiegung zu verschwinden.
    Christopher betrat den felsigen Rand des Beckens mit weichen Knien. Dort, wo das letzte Mädchen ihn im Vorbeihuschen mit ihrer Brust berührt hatte, war sein Hemd feucht vom Stoff ihres Kleides, und es war, als glühte die Stelle.
    »Fall aber nicht gleich ins Wasser wegen ein paar Frauen«, sagte Jumar.
    »Finde du lieber deinen Pfad«, knurrte Christopher.
    Er balancierte mit einem leicht benommenen Gefühl voran, um das Becken herum bis dorthin, wo Dutzende winziger Wasserfälle den Fels hinabrieselten. Als er seine Hand auf den Felsen legte, der warm war wie ein Körper, kam es ihm vor, als wäre es der Körper des Mädchens, den er berührte. Sein Kopf hing noch immer in dieser Begegnung fest –
    Und so sah er die schillernde Bewegung nicht sofort.
    Oder: Er sah sie, aber er registrierte sie nicht. Sie blieb irgendwo auf dem Weg zwischen Auge und Bewusstsein hängen.
    »Hier ist nirgendwo ein Pfad«, sagte Jumar hinter ihm. Christopher drehte sich um.
    Und da endlich erreichte das Bild aus seinem Auge die richtige Stelle in der Hirnrinde.
    Er packte die Stelle, wo er Jumar vermutete, und wies mit ausgestrecktem Arm auf den Urwald, der sich grün und pfadlos am Rand des natürlichen Beckens erhob.
    »Dort«, flüsterte er.
    »Der Drache«, wisperte Jumar.
    Christopher nickte. Im dunklen, schattigen Grün des Urwalds sah man den großen Körper kaum. Er lag dort wie eine übergroße Katze, die Augen geschlossen, und schien zu schlafen. Um ihn herum gab es nichts Farbloses. Er schien nicht gekommen zu sein, um zu fressen, sondern, um ein wenig auszuruhen. Oder um jemandem aufzulauern?
    Der riesige Körper hob und senkte sich im Schlaf – und dann öffnete der Drache ganz langsam ein Auge. Ein schwarzes, leeres, bodenloses Auge. Christopher erinnerte sich an den Drachen auf dem Feld, am Waldrand. Hatte der Drache sie damals gesehen?
    Sah dieser Drache sie jetzt?
    Machte es einen Unterschied, ob er sie sah? Hatte er ein Interesse daran, den Menschen zu schaden? Und – machte es einen Unterschied für sie, ob er ein Interesse daran hatte?
    Tot ist tot, hohl ist hohl, Bronze ist Bronze.
    Christopher machte einen Schritt rückwärts – genau wie damals am Waldrand. Und genau wie damals war es ein Fehler.
    Er landete im Wasser und tauchte unter. Als er wieder hochkam, blitzte es zwischen den aufspritzenden Wellen. War das ein Strahl von Sonnenlicht oder ein glitzernder Schuppenpanzer? Er glaubte, ein Fauchen zu hören, tauchte unter und schwamm, so rasch er konnte. Hatte der Drache sich

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