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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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mit dem Sohn des Königs!«
    »Bist du wirklich der Sohn des Königs?«, fragte das kleine Mädchen und starrte Christopher mit offenem Mund an.
    Nein, dachte Christopher. Ich bin gar niemand. Ich bin der Körper, den der Sohn des Königs sich leiht, um mit euch zu sprechen. Und seine Lippen sagten mit Jumars Stimme: »Ja. Der bin ich.«
    »Wir hatten hier schon viele Leute«, sagte der Junge, der etwas älter war als das Mädchen. Er sprach mit großem Ernst. »Wir hatten einen englischen Mann, der die Sterne erforschte, und einen Arzt, der sich sein ganzes Leben nur mit dem Knie beschäftigte. Wir hatten auch einen Mann mit blondem Haar, der behauptete, seine Großmutter wäre aus Nepal gewesen. Aber einen Königssohn hatten wir noch nie.«
    Christopher verschluckte sich beinahe an der Abendluft.
    »Woher kam der blonde Mann?«, fragte er mit seiner eigenen Stimme, und sie klang klein und schüchtern und kein bisschen so wie die von Jumar, der von allem, was er tat, 200-prozentig überzeugt zu sein schien. Aber das Glänzen des goldenen Ringes auf dem Tisch verstopfte die Ohren der Menschen, die ihn ansahen, wie dicke Watte – und so bemerkte keiner von ihnen etwas.
    »Er kam aus dem Land, wo sie die Weltmeisterschaft hatten«, erklärte der kleine Junge eifrig. »Und er hat mit mir Fußball gespielt, im Garten zwischen den Blumen.«
    Die Frau lächelte. »Das war ein netter Mann, der Deutsche. Er war noch jung. Der letzte Tourist, der hier schlief.«
    »Wann war er hier und wo – wohin war er unterwegs?«, fragte Christopher rasch. Er spürte, dass Jumar auch etwas sagen wollte, aber er ließ ihn nicht zu Wort kommen.
    »Oh, das ist schon eine Weile her. Er wanderte die gewöhnliche Runde«, antwortete die Frau. »Die, die alle gehen, zum Poon Hill, wo sie die aufgehende Sonne fotografieren und von wo aus man alle Berge des Annapurnamassivs sehen kann, wenn es nicht bewölkt ist.« Sie lächelte. »Überflüssig zu sagen, dass es immer bewölkt ist. Danach wollte er wohl zurück ins Tal. Aber jetzt geht keiner mehr dorthin, keiner fotografiert vom Poon Hill aus die Wolken, und keiner steigt den Weg von hier hinauf – kein Tourist. Wir haben dem blonden Mann aus Deutschland gesagt, er sollte es nicht tun. Sie wären dort. Aber er sagte, das wüsste er schon und dass er sie schließlich nur zu bezahlen bräuchte, wie alle das vor ihm getan hatten. Er wollte nicht hören, dass die Dinge jetzt anders sind. Dass etwas beginnt. Dass etwas endet. Dass sie sich bereit machen.«
    Sie flüsterte jetzt und warf einen Blick hinter sich, als könnte jemand sich in den Raum geschlichen haben – jemand, der ihre Worte nicht hören sollte.
    »Oben, bei Tatopani, wo die heißen Quellen fließen, dort, heißt es, sieht man sie häufiger als irgendwo sonst. Irgendwo dort müssen sie eines ihrer Lager haben. Der Sohn der Nachbarin ist zu ihnen gegangen. Sein Name ist Shiva, und er ist ein guter Junge. Wenn alles sich ändert... wenn der König wieder stark ist... was wird mit denen geschehen, die in den Bergen sind?«
    »Den Mao-«, begann Jumar, doch die Frau legte ihren Finger auf die Lippen.
    »Scht, scht. Manche Worte dürfen nicht laut ausgesprochen werden. Vielleicht später, wenn alles sich geändert hat. Ich mag sie nicht, denn sie machen mir Angst mit ihren lauten Reden und ihren Waffen. Aber einer wie Shiva, wird man so einen laufen lassen?«
    »Macht Euch keine Sorgen«, sagte Jumar. »Ihr habt den Ring gesehen. Ich bin der Sohn des Königs, und ich werde dafür sorgen, dass alles einen guten Ausgang hat. Eurem Shiva wird nichts geschehen.«
    »Dann ist es gut«, sagte die Frau. »Und nun müsst Ihr schlafen, denn wer die Welt ändern will, auch wenn es der Sohn eines Königs ist, der Kräfte besitzt, die ich nicht verstehe – wer die Welt ändern will, braucht Schlaf.«
    Ihr Blick ruhte eine Weile auf Christophers T-Shirt, seinen abgewetzten Jeans, seinem schmächtigen Körper.
    »Vergebt mir«, sagte sie, »wie anders habe ich mir Euch vorgestellt!«
    Und Christopher seufzte, denn diesen Satz hatte er schon zu oft gehört.
    Später, im Dunkel, als sie in ihren Betten lagen, fragte er Jumar nach dem Ring.
    »Oh, es ist ganz einfach«, sagte Jumar vergnügt. »Ich streife ihn über den Handschuh, sodass ich ihn nicht direkt berühre. Dann sieht man ihn.«
    »Wow«, sagte Christopher. »Nicht dumm.«
    »Nein«, sagte Jumar. »Es gibt eine Menge Tricks.«
    »Wenn wir die Ma – die Aufständischen finden, sage mir, was

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