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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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wirst du tun?«
    »Wir werden sie nicht morgen finden. Die Berge sind weit und hoch. Ich werde eine Menge Zeit haben, darüber nachzudenken.«
    Und Christopher dachte, wie merkwürdig es doch war mit diesem unsichtbaren Jungen an seiner Seite. Manchmal sprach er wie ein Kind und manchmal wie einer der weisen Männer, die man sich gemeinhin auf Teepackungen vorstellt. Was wusste Jumar von der Welt?
    Wie stellte er sich vor, die Aufständischen zu besiegen?
    Glaubte er wirklich, er könnte sie mit einem einfachen Zaubertrick beeindrucken, indem er einen Ring in der Luft erscheinen oder einen Gegenstand verschwinden ließ?
    »Christopher«, fragte Jumar leise. »Deine Gedanken sind bei Arne, nicht wahr?«
    »Hmmm«, machte Christopher.
    »Wir finden ihn bald«, flüsterte Jumar, »bestimmt.«
    »Hmmm«, machte Christopher.
    »Christopher? Bist du böse, dass ich mir deinen Körper geliehen habe, für meine Stimme? Du bist doch nicht böse? Es ist –praktischer so.«
    »Hmmm.«
    »Christopher?«
    »Hm?«
    »Worüber denkst du nach?«
    »Hmmm«, machte Christopher ein letztes Mal. »Ich denke, was für ein langer Tag es war.«
    Denn er brachte es nicht übers Herz zu sagen, was er wirklich dachte: dass ihre Mission zum Scheitern verurteilt war. Dass sie umkehren sollten. Aber Jumar, das war ihm jetzt schon klar, Ju-mar war keiner, der umkehrte. Genauso wenig wie Arne.
    Und Arne war verschwunden.
    Und deshalb konnte er, Christopher, ebenfalls nicht umkehren. Dieses Mal nicht.
    Die Dunkelheit glich jetzt einem Mantel, der sie beide einhüllte. Draußen sangen noch immer die Zikaden, vielleicht waren sie in Schichten eingeteilt, und dicke Wolken bedeckten den Himmel. Christopher zog die Decke enger um sich. Wie kalt es geworden war, jetzt, in der Nacht! Ob Arne in ebendiesem Bett gelegen hatte und ebendiese Kälte gespürt hatte? Und wo war er jetzt?
    Fror er? War er hungrig? Verletzt? Ging es ihm gut? War er –aber diesen Gedanken verbot sich Christopher.
    Von der anderen Seite des Raumes hörte er Jumars gleichmäßigen Atem aus einem Bett, das unsichtbar geworden war. Christopher aber fand keinen Schlaf. Er hatte Angst, von den bodenlosen Augen des Drachen zu träumen. Früher hatte er auch oft Angst gehabt einzuschlafen.
    In diesen Nächten war er in Arnes Zimmer getappt und in sein Bett gekrochen, und Arne hatte einen Arm um seinen kleinen Bruder gelegt.
    »Jetzt bist du so nahe bei mir«, hatte er geflüstert, »jetzt kannst du nur träumen, was ich träume. Ich werde träumen, wir wären zusammen am Strand ... und wir bauen die größte Sandburg aller Zeiten ...«
    Und Christopher hatte ihm geglaubt, und alles war gut gewesen.
    Und so sehr er Arne später an manchen Tagen dafür gehasst hatte, dass er so viel größer und stärker und besser in allem war als Christopher – der schlimmste Albtraum, der, den er immer wieder geträumt hatte, war stets derselbe gewesen: Er wachte auf und tappte den Flur entlang, öffnete die Tür zu Arnes Zimmer –und sah das weiße Licht des Mondes auf einem leeren Bett.
    Dieser Traum war wahr geworden.

Christopher verschwindet
    Christopher erwachte davon, dass er nicht mehr fror. Gelbes Licht fiel durch seine geschlossenen Lider, und er bemühte sich, noch einen Moment lang ganz still zu liegen. In jenem Schwebezustand zwischen Schlafen und Wachen, jenem Niemandsland zwischen Traum und Wirklichkeit, wünschte er mit aller Macht, er würde, wenn er jetzt die Augen aufschlüge, die Kante seines Bettes sehen, seinen Schreibtisch sehen und den Schulrucksack, achtlos irgendwo in eine Ecke geschleudert.
    Und im Bad würde man Arne unter der Dusche singen hören, wie er es an solchen Morgen gerne tat. Und Arnes Verschwinden, der unsichtbare Prinz, der farbenfressende Drache – all das wäre nichts weiter gewesen als ein langer, verwirrender Traum.
    Doch dann drang das Gelärme der Zikaden mit aller Macht in sein Bewusstsein, er roch den Duft von Holzfeuer und spürte die kratzige Wolldecke, in die er sich gewickelt hatte – und da musste er einsehen, dass es kein Traum gewesen war.
    »Guten Morgen«, sagte Jumar aus der Luft ungefähr in Zimmermitte. »Die Sonne scheint.«
    Christopher verbarg sein Gesicht in den Armen und knurrte.
    Er fühlte, wie ihm jemand die Decke wegzog, die sogleich unsichtbar wurde.
    Die Sonne schien wirklich. Sie schwamm groß und gelb am Himmel wie ein Eigelb, kurz bevor jemand mit der Gabel hineinsticht. Christopher merkte, dass er Hunger hatte.
    Zum

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