Drachen der Finsternis
seine Schulter, er schrie auf und bekam wieder Wasser in den Mund. Nein!, wollte er schreien. Nein, nein! So war es nicht gemeint! Ich bin jung, und ich bin der Thronfolger! Für mich ist er nicht, dieser Tod! Ich habe noch so viel vor! Aber der unterirdische Fluss hatte seine eigenen Pläne mit ihm, dunkle, unbekannte Pläne. Er schien sich in den Kopf gesetzt zu haben, Jumar das Fürchten zu lehren. Erbarmungslos wirbelte er ihn herum, boxte ihn mit Fäusten aus Wasser und Handschuhen aus Felsvorsprüngen und ließ seine Kräfte erlahmen.
Und vielleicht – wahrscheinlich – hatte er irgendwo einen weiteren Felsvorsprung in petto, den Jumar im Geiste schon vor sich sah: spitz, kantig, ohne Gnade.
Und das wäre es.
Er spürte seine Kräfte erlahmen, seinen Willen verebben wie dunkler werdendes Licht und ließ sich vom Wasser beuteln. Es machte keinen Unterschied. Er konnte nichts tun.
Und dann, ganz plötzlich, begann er, sich zu ärgern.
Er hatte sich nicht auf diese Mission begeben, um sich von einem Wasserfall das Genick brechen zu lassen! Wenn er schon unbedingt sterben musste, dann wollte er das wenigstens durch eine Kugel der Maoisten tun. Sein Ärger gab ihm Kraft, und er kämpfte wilder mit dem Wasser, und irgendwann merkte er, dass er aufgehört hatte zu fallen. Der Fluss trug ihn nun geradeaus. Jumar sammelte die Kraft seines Ärgers in sich, erreichte eine rettende Oberfläche und schnappte nach Luft. Die Luft, die er atmete, war stickig und abgestanden, moderig und muffig, und dennoch war ihm, als hätte er nie bessere Luft geatmet.
Eine Weile ließ er sich einfach flussabwärts treiben und atmete tief ein und aus.
Dann sagte er sich: Jeder Fluss, selbst ein unterirdischer, musste ein Ufer haben. Oder zumindest einen Rand. Jumar schwamm mit letzter Kraft quer zur Strömung, betete, dass kein weiterer Wasserfall ihm in die Quere kam – und spürte nach einer Ewigkeit, wie das Wasser seichter wurde, der Fluss langsamer floss. Dann schlug seine Hand schmerzhaft gegen Stein, und er zog sich auf einen Felsen.
Von ferne hörte er noch immer das Rauschen des Wasserfalls.
Er blieb eine Weile regungslos liegen und versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Eine Menge Stellen in seinem Körper taten weh. Sein Kopf dröhnte, als hätte sich ein Stück des Wasserfalls in ihm gefangen. Es war schwer, die Gedanken in der richtigen Reihenfolge zu denken, denn die meisten von ihnen wirbelten in ihm durcheinander.
Dann drängte sich einer in den Vordergrund, blieb hartnäckig stehen und ließ sich endlich entziffern: LICHT.
Er brauchte Licht.
Jumar setzte sich auf, stieß sich den Kopf an einem weiteren Felsen und knurrte wütend, da ihm keiner seiner vielen verschiedenen Lehrer das Fluchen beigebracht hatte.
Dann schälte er sich aus den Riemen seines klitschnassen Rucksacks und schaffte es nach einer Weile, den Reißverschluss zu öffnen. Zwischen der Wasserflasche, zwei triefenden Jacken und – urg – einem Klumpen aufgeweichter Fruchtgummidrops fanden seine tastenden Finger schließlich, was sie suchten: eine große, klobige Taschenlampe mit einem gerillten Blechmantel. Er hatte sie bei den Sachen des alten Tapa entdeckt und beschlossen, sie für die Reise zu entleihen, was sicher in Tapas Sinne gewesen wäre. Nun stellte sich die Frage, ob so viel Wasser im Sinne der Taschenlampe gewesen war.
Jumar schickte ein Stoßgebet an einen unbestimmten Gott und schob den Schalter nach vorne. Der unbestimmte Gott erhörte ihn: Ein fahles Licht quoll aus dem breiten Kopf der Lampe und verwandelte die Dunkelheit um ihn mit einem Schlag.
Er blinzelte und sah sich um.
Und dann sagte er:
»Interessant.«
Christopher schlug die Augen auf und fand sich in absoluter Schwärze. Er versuchte, sich zu erinnern. Was war geschehen? Er lag in feuchtem Kies, und irgendwo neben ihm gluckerte es wie von vorbeifließendem Wasser.
In seinem Kopf breitete sich ein dumpfer, pochender Schmerz aus.
Er erinnerte sich – er erinnerte sich an Sonnenlicht.
Sonnenlicht, das durch grüne, großfiederige Blätter fiel und Kringel auf eine Wasseroberfläche malte. Was für eine Wasseroberfläche war das gewesen?
Das Letzte, was er deutlich sah, waren die harten Augen des jungen Mannes mit dem Kopftuch und dem Militärparka, steinern wie zwei Murmeln aus Marmor starrten sie durch sein Gedächtnis.
»Shiva«, hörte er den Mann wieder sagen. »Möchtest du nicht lernen, wie man mit einem Gewehr umgeht?«
Was war dann geschehen? Hatten
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