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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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inzwischen gewohnt, an irgendeine Tür zu klopfen, wenn die Nacht hereinbrach, und noch nie war er abgewiesen worden. Doch an diesem Abend blieben die Türen verschlossen.
    »Der Drache«, flüsterte Jumar. »Der Drache, der hier war. Er ist noch nicht lange fort. Die Leute haben Angst.«
    »Ein Drache klopft nicht an Türen«, sagte Christopher.
    Die allerletzte Tür schließlich öffnete sich einen Spaltbreit, ein Paar Augen musterte Christopher eingehend aus der Dunkelheit dahinter, und er wurde so rasch durch die Tür gezogen, dass er beinahe Angst hatte, Jumar käme nicht hinterher.
    Drinnen glommen die Reste eines Feuers in einer Ecke, zwei Kinder schliefen dort auf dem nackten Boden.
    »Wer bist du?«, fragte die Frau, die Christopher hereingelassen hatte.
    Und Christopher hatte das Gefühl, es wäre besser, wenn er Jumar dieses eine Mal nicht sprechen ließe.
    »Ich bin niemand«, antwortete er. »Aber ich brauche einen Platz für die Nacht, und wenn Ihr ein wenig Reis habt, kann ich ihn bezahlen.«
    Die Frau nickte, doch ihr Gesicht blieb ohne Regung.
    »Dann ist es gut. Niemand war hier, werde ich ihnen sagen, und ich habe niemandem zu essen gegeben.«
    Wenig später saßen Christopher und Jumar neben der sterbenden Glut, und die Frau reichte Christopher eine Schale. »Der Reis, den wir haben, macht nicht satt«, sagte sie. »Doch er ist alles, was es gibt.«
    Selbst im spärlichen Licht der Glut sah Christopher, dass der Reis keine Farbe hatte. Er hatte keinen Geschmack, und er brachte keine Wärme in seinen Körper. Wenigstens schien er das Gefühl des Hungers zu verjagen.
    Nachts jedoch wachte Christopher davon auf, dass sein Magen knurrte.
    Es war, als hätte er nie etwas gegessen.
    Er lag wach und starrte in die Dunkelheit. Die Glut war längst zu kalter Asche geworden, und draußen heulte der Wind wie ein tollwütiger Hund.
    »Du kannst nicht schlafen, habe ich recht?«, flüsterte die Frau. »Ich kann deine Gedanken fühlen. Du bist auf der Suche nach etwas, nicht wahr?«
    Sie musste irgendwo hinter ihm in der Schwärze sitzen, aufrecht und wach.
    »Niemand kann mehr schlafen in diesem Dorf, flüsterte die Frau. »Zu viele Nächte sind zerrissen worden vom Klopfen an den Türen. Zuerst waren sie da, die in den Bergen sitzen, und baten um Unterschlupf. Ihre Bitten waren schwarz und glänzten im Sternenlicht mit polierten Läufen, aber wer sie einließ, zu dem waren sie höflich. Dann jedoch kamen die Uniformierten, die sie suchten. Und ihre Fragen waren rot wie Blut und rochen nach dem kalten Schweiß der Angst. Manche der Häuser stehen jetzt leer. Sie liegen voller Scherben. Das sind die, in welchen die Männer aus den Bergen schliefen. Die Soldaten haben nichts von ihnen übrig gelassen. Und nun – nun suchen sie noch einen – einen Flüchtigen, einen Jungen, so alt wie du.«
    »Weshalb suchen sie ihn?«
    »Wenn die Uniformierten kommen, gibt es keine Fragen, die mit weshalb beginnen.«
    Christopher ließ das Schweigen eine Weile die Luft füllen, sich ausdehnen und wieder zusammensacken, und schließlich fragte er:
    »Als sie da waren – habt Ihr sie reden hören? Sprachen sie von drei Ausländern, die sie in einem ihrer Lager in den Bergen ... zu Gast hatten?«
    Die Frau schien zu zögern.
    »Merkwürdig, dass du das erwähnst«, antwortete sie schließlich, »denn als ich dich heute sah, da dachte ich, dass du einem von ihnen ähnlich siehst.«
    Christopher setzte sich so abrupt auf, dass sich die Dunkelheit um ihn drehte.
    »Ihm ähnlich sehe? Wem?«
    »Die drei Ausländer«, sagte die Frau. »Sie waren hier. Sie waren auf dem Weg zu ihrem Basislager, jenem, von dem keiner weiß, wo es sich befindet, und dorthin brachten sie sie. Ich habe sie gesehen, drei junge Männer, groß und mit hellen Augen. Die, in deren Haus sie schliefen, die sagten, die Kämpfer hätten sie mit Respekt behandelt. Als sie im Morgengrauen aufbrachen, kamen sie an meiner Tür vorüber, und einer von ihnen lächelte mich an. Er hatte blondes Haar, beinahe weiß, und sein Lächeln war so freundlich. Er war es, dem du ähnlich siehst.«
    Christopher lauschte in der Dunkelheit auf das Pochen seines Herzens. Es raste so schnell wie noch nie, und er musste sich zwingen, ruhig zu atmen.
    Arne.
    Er war es. Er war hier gewesen. Er lebte. Es ging ihm gut.
    Und er, Christopher, befand sich auf dem richtigen Weg.
    »Seine Augen waren hell?«, flüsterte er. »Und sein Haar beinahe weiß? Aber wie kann ich ihm dann ähnlich

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