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Drachen der Finsternis

Titel: Drachen der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sehen?«
    »Es war das Lächeln«, antwortete sie. »Du hast das gleiche Lächeln.«
    »Ich – ich –« Er stockte. Das gleiche Lächeln? Jenes umwerfende, strahlende Lächeln, mit dem Arne die Mädchen scharenweise verzauberte, ohne es überhaupt vorzuhaben?
    Jenes Lächeln, das bis in die Herzen von Fahrkartenkontrolleuren und Verkehrspolizisten reichte? Jenes Lächeln, das sie alle auf ihren Gruppenfotos haben wollten?
    »Ich fürchte«, flüsterte Christopher schließlich, »ich lächle nicht sehr oft.«
    Der nächste Morgen sah sie auf dem Weg, noch ehe der Tag begann.
    Das Sonnenlicht sollte keinen Fremden in jenem gastfreundlichen Haus vorfinden.
    Und so wanderten sie weiter, Hunger im Bauch und Erschöpfung in den Beinen. Doch in Christophers Herz sang es.
    »Arne war hier«, erklärte er Jumar. »Sie hat ihn gesehen. Nachts, als du schliefst, haben wir uns unterhalten. Es geht ihm gut, und es sieht tatsächlich so aus, als brächten sie ihn und die anderen in ihr Basislager.«
    Jumar schien zu zögern.
    »Auch ich habe ihn gesehen«, sagte er nach einer Weile.
    »Wie bitte? Du hast ihn – gesehen? Wo? Wann?«
    Er blieb stehen, griff ins Nichts, fand Jumars Schulter und rüttelte daran.
    »Unter der Erde, am Fluss«, fuhr Jumar fort. »Als du bewusstlos warst. Die Maos, die ich dort vorbeikommen sah – sie waren nicht allein. Sie hatten die drei Ausländer bei sich. Es war so dunkel, und nur der ganz vorne trug ein Licht ... sie hatten ihnen die Augen verbunden. Ich glaube ... einer sah aus wie dein Bruder. So, wie du mir erzählt hast, dass er aussieht.«
    Die Gedanken in Christophers Kopf fielen durcheinander wie ein Steinschlag.
    Vielleicht war es nicht Arne gewesen. Vielleicht doch. Vielleicht war er ihm ganz nahe gewesen. Zum Berühren nahe. Und Jumar hatte geschwiegen.
    Er hatte Arne beinahe gefunden. Und er hatte ihn wieder verloren.
    »Warum, Jumar?«, flüsterte er. »Warum hast du nichts gesagt?«
    »Ich war mir nicht sicher, was mit ihnen geschehen würde. Die Maos hatten Waffen, deshalb habe ich geschwiegen.«
    Der Ärger stieg glutheiß in Christopher hoch. Er brannte in seiner Kehle. Er wollte Jumar anschreien, der Ärger verlangte es von ihm, doch er war es nicht gewohnt, Leute anzuschreien. So wurde seine Stimme noch leiser.
    »Es ist doch eine Schande«, wisperte er, »dass man dir nicht ins Gesicht sehen kann.«
    »Nun hör auf, sauer zu sein«, sagte Jumar. »Wenn ihnen etwas geschehen wäre – wäre es dann nicht besser gewesen, du hättest es nicht gewusst? Wir hätten doch nichts ändern können –«
    »Du bist unsichtbar. Schon vergessen?«
    »Ja – und?«
    »Du hättest sie befreien können.«
    »Man kann auch auf Unsichtbares schießen. Christopher –ich – ich hatte Angst.«
    »Ach was.« Christopher schüttelte den Kopf.
    Tausend Worte drängten sich auf seiner Zunge, um gesagt zu werden. Doch es würde nichts nützen. Jetzt nicht mehr.
    »Angst!«, sagte Christopher. »Unsinn. Ich weiß, warum du nichts getan hast. Und nichts gesagt. Du brauchst es gar nicht zu erklären.«
    Er spürte, wie sich Jumar in seinem Griff wand. »Weil – weil ich nicht wollte, dass du traurig bist! Christopher! Darüber, dass wir ihnen nicht helfen können. Noch nicht, Christopher, nur: noch nicht. Nicht dort unten am Fluss. Wenn wir das Lager finden –«
    »Unsinn«, zischte Christopher. »Du brauchst mich. Deswegen. Du hast gedacht, wenn ich Arne finde, war es das. Dann verlass ich dich. Dann musst du alleine weitergehen und dich alleine durchschlagen zu diesem – diesem was auch immer, Basislager oder was.«
    Jumar schwieg.
    »Dabei brauchst du nicht mal mich. Das Einzige, was du brauchst, ist mein Körper, um zu den Menschen zu sprechen. Sonst gar nichts.«
    Er ließ Jumars Schulter los und spuckte vor ihm aus.
    »So«, sagte er, »das ist es nämlich, was ich von dir halte. Und nun such dir einen anderen, der dir seinen Körper leiht.«
    Damit drehte er sich um und ging den Weg entlang, einen Weg, den auch sein Bruder gegangen war. Einen Weg, der ihn zu Arne führen würde. Er vergrub die Hände tief in den Taschen, zu Fäusten geballt, und die Wut sang in seinem Kopf.
    Es kam ihm vor, als ließe sich sogar die Luft schwerer atmen durch die Wut, die sein Inneres verstopfte. Aber vermutlich war es nur wieder die Höhe.
    Der Weg wurde schmaler und steiler, schlängelte sich zwischen Geröll und struppigem Gebüsch hindurch, und manchmal war er sich nicht sicher, ob es überhaupt ein Weg

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