Drachenauge
war viel zu vernarrt in ihren Schützling, um eine unparteiische Meinung zu vertreten. Und ihr kam gar nicht in den Sinn sich zu fragen, wieso auch sie auf jedem Bild zu sehen war, das Iantine von dem Drachen zeichnete. Dieser Umstand fiel indessen den anderen Reitern auf.
»Lass dir was von Tishas Salbe geben. Mir hat sie sehr geholfen«, riet Iantine ihr.
»Ach, von diesem Zeug habe ich mehr als genug.«
»Aber es nützt dir nichts, wenn du sie nicht aufträgst.«
»Du hast ja Recht«, seufzte sie und senkte den Kopf.
»Heh, ich wollte dich nicht kritisieren«, stellte er richtig und hob mit Daumen und Zeigefinger ihr Kinn.
»Hab ich dich jetzt gekränkt?«
»O nein«, erwiderte sie rasch, schob seine Hand zur Seite und lächelte gekünstelt. »Manchmal benehme ich mich komisch. Achte einfach nicht darauf.«
»Du benimmst dich gar nicht komisch«, widersprach
er so hitzig, dass sie erschrocken zu ihm hochblickte.
»Und jetzt mach damit weiter, Morath einzureiben …«
Er schlug ein neues Blatt Papier auf und zückte den Bleistift. »Na los doch!«
»Iantine ist in dich verliebt, Debera«, sagte Grasella, ihre Kameradin lauernd ins Auge fassend.
»Iantine? Er ist nur verliebt in seine Kunst. Er würde 291
seinen dicken Zeh zeichnen, wenn er kein anderes Modell hätte«, entgegnete Debera. »Außerdem geht er demnächst nach Benden zurück.«
»Wirst du ihn vermissen?«, fragte Jule mit listiger Miene.
»Ob ich ihn vermissen werde?«, wiederholte Debera
verdutzt.
Mir wird er fehlen , mischte sich Morath in so beküm-mertem Tonfall ein, dass sich ihr die anderen Jungdrachen mit traurig kreisenden Augen zuwandten.
»Was hat Morath gesagt?«, wollte Jule wissen. »Die
Drachen sind ja ganz aufgeregt.«
»Dass Iantine ihr fehlen wird. Aber, aber, meine Lie-be«, versuchte sie Morath zu trösten, indem sie ihren Kopf und den Schädelkamm streichelte. »Vergiss nicht, dass Iantine nicht aus einem Weyr stammt. Er kann nicht ewig hier bleiben.«
»Ich schätze, nichts wäre ihm lieber, als endgültig bei uns heimisch zu werden«, meinte Sarra keck.
»Dich hat keiner gefragt«, fuhr Angie ihr über den
Mund.
»Hat er je irgendetwas getan … ich meine, außer dich zu malen, Deb?«, fragte Jule mit glitzernden Augen.
»Nein, natürlich nicht. Wieso sollte er?«, entgegnete Debera verärgert. Das war der Nachteil, wenn man in einem gemeinsamen Schlafsaal untergebracht war. Die anderen Weyrlinge konnten schrecklich vorwitzig sein, aber niemals waren sie gehässig oder gemein, so wie ihre Stiefmutter und ihre Stiefschwestern. Debera hingegen kümmerte es nicht, wenn ihre Weyrkameradin-nen erst spät nachts das Quartier aufsuchten. Sie wollte gar nicht wissen, wo oder bei wem sie gewesen waren.
»Ich geb's auf, sie ist nicht zu retten«, seufzte Jule und rang in gespielter Verzweiflung die Hände. »Der attrak-tivste ledige Mann im ganzen Weyr macht ihr den Hof, und sie merkt es nicht einmal.«
»Sie hat nur Augen für Morath«, mischte sich Sarra
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ein. »Nicht, dass wir anderen weniger vernarrt wären in unsere Drachen.«
»Die meisten von uns …« – Jule legte eine bedeu—
tungsschwere Pause ein, –»wissen, dass Drachen zwar ein äußerst wichtiger Bestandteil unseres Lebens sind, aber da gibt es auch noch andere Dinge. Selbst der alte T'dam hat eine Weyrgefährtin.«
»Aber wir haben doch noch keine eigenen Weyr«,
korrigierte Mesla sie, die zum ersten Mal an dem Gespräch teilnahm. Das Mädchen neigte dazu, alles immer wortwörtlich zu nehmen. »Man kann doch hier mit niemandem intim werden, ohne dass alle gaffen.«
Debera spürte, wie sie rot wurde. Ihre Wangen glühten.
»Das hat dich nie daran gehindert, dich mit jemand Bestimmtem hier zu vergnügen«, warf Sarra Jule vor und legten den Kopf schräg.
Jule lächele geheimnisvoll. »Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, nämlich von dem einzigen Jungreiter, der auch in einem Weyr geboren wurde, dass private Wünsche die Partnerwahl eines Drachen beeinflussen können.«
»Aber sie steigen doch frühestens in acht oder vierzehn Monaten zu ihrem ersten Paarungsflug auf«, gab Angie zu bedenken, obwohl Jules Bemerkung sie offensichtlich beeindruckte. »Angenommen, Jule, dein Drache lässt sich von einem Partner befliegen, dessen Reiter du nicht ausstehen kannst.«
»Spielst du etwa auf O'ney an?«, fragte Jule grinsend, sehr zu Angies Missbehagen.
Doch Angie überwand ihre Verlegenheit und gab
zurück: »Er ist unmöglich,
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