Drachenauge
Zulaya ihn an, denn noch nie zuvor hatte K'vin sich in dieser Offenheit ihr oder Meranath widersetzt, obwohl er des Öfteren Grund gehabt hätte, ihnen Paroli zu bieten.
»Wusstest du, in welchem gesundheitlichen Zustand
sich P'tero befindet?«, fragte er. Zulaya wich vor ihm zurück in den Weyr.
»Tisha erwähnte, Maranis hätte ihn gewarnt. Die neue Haut über den Verletzungen ist noch sehr dünn …«
»Und du hast mir nichts davon gesagt?«
»Er ist doch nur ein blauer Reiter …«
»Jeder einzelne meiner Reiter ist wichtig!«, schnauzte K'vin und ballte die Fäuste. Am liebsten hätte er etwas zerschlagen, um den in ihm aufgestauten Aggressionen ein Ventil zu verschaffen. »In zwei Tagen fallen die ersten Fäden. Dann muss mein Weyr einsatzbereit sein.
Geheimnisse oder Ausflüchte sind das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann!«
»K'vin!« Zulaya streckte eine Hand nach ihm aus.
»K'vin, es ist ja gut. Der Weyr ist bereit … Wir alle sind nur ein bisschen nervös. Doch das kann nicht schaden …«
»Es kann nicht schaden?« K'vin schlug ihre Hand beiseite. »Hast du einmal darüber nachgedacht, was passieren kann, wenn ein Reiter, der nicht im Vollbesitz seiner Kräfte ist, bei einem Einsatz mitfliegt?«
Aufgeregt wanderte er hin und her. Zulaya beobachtete ihn lächelnd und nicht ohne Stolz. Er würde einen hervorragenden Weyrführer abgeben und B'ner bei weitem übertreffen.
Jählings blieb er vor ihr stehen. »Was gibt es da zu lachen?«, fragte er schroff. Ihr Lächeln behagte ihm nicht; in ihrer Miene lag ein Ausdruck, wie er ihn noch nie zuvor an ihr gesehen hatte.
»Ich freue mich, weil du die Situation so fest unter 423
Kontrolle hast«, gab sie zu, während ihr Lächeln in die Breite wuchs.
»Habe ich das?« Dann tat er das, worauf sie immer
gewartet hatte – er riss sie an seine Brust und bedeckte sie mit leidenschaftlichen Küssen. Jetzt war er ganz Mann und Weyrführer, sich seiner vollen Autorität bewusst. Wie verflogen waren seine zögerliche Haltung und seine Reserviertheit. Seit jeher hatte sie darauf gehofft, ihn dazu zu provozieren, dass er seine Unterwür-figkeit ablegte und seinen wahren, starken Charakter zeigte.
Noch vor Morgengrauen des nächsten Tages weckte
Meranath die Weyrführer mit der Nachricht, dass
B'nurrin und Shanna eingetroffen seien.
»Was wollen sie hier?«, fragte K'vin und löste sich sanft aus Zulayas Umarmung.
Es wird Zeit aufzubrechen , antwortete Charanth.
»Wohin?«, erkundigte sich Zulaya schläfrig.
Sie sagen, sie wollen in den Süden , verkündeten Charanth und Meranath im Chor.
Plötzlich fiel K'vin alles wieder ein. Heute war der Tag des ersten Fädenfalls, und zum ersten Mal würden sie diesen Organismus sehen. Diesen Plan hatte er in einem verschwiegenen Winkel seines Gehirns versteckt, und als er mit B'nurrin darüber gesprochen hatte, schirmten sie ihre Gedanken vor den Drachen ab. Andernfalls wäre bereits der gesamte Weyr auf den Beinen, um sich dieses Schauspiel nicht entgehen zu lassen.
»B'nurrin möchte, dass wir mitkommen«, erklärte
K'vin Zulaya.
Sie runzelte kurz die Stirn, dann erhellte sich ihre Miene. »Ach ja.« Mit einem komplizenhaften Grinsen sprang sie aus dem Bett, um sich die Reitmontur anzuziehen.
Während sie sich ankleideten, streiften sich ihre Kör-424
per. Zulaya nahm K'vins Gesicht in beide Hände und
gab ihm einen Kuss. »Ich könnte meinen Flammenwerfer mitnehmen …«
»Dann kannst du dir auch gleich unser Ziel auf die
Stirn schreiben«, murmelte er. »Wir fliegen nur hin, um zu schauen .«
»Ja, schauen.« Dann fragte sie mit lauter Stimme: »Wo treffen wir B'nurrin, Meranath?«
»Das wissen wir doch«, flüsterte K'vin und drückte
Zulayas Arm. »In Landing«, raunte er ihr kaum hörbar ins Ohr.
»Ja, sicher, wie konnte ich das nur vergessen.«
Falls der Drache und sein Reiter, die auf dem Felssims Wache schoben, sich wunderten, wieso die beiden Weyrführer vor Tag und Tau losflogen, so ließen sie sich nichts anmerken. Grüßend schwenkte der Reiter den Arm, als Charanth und Meranath über ihm hinwegglit—ten.
lanath sagt, wir sollen bis drei zählen und dann abtauchen , erzählte Charanth K'vin. Aber wohin?
Unser Ziel ist Landing , antwortete K'vin und blickte zu Zulaya hinüber. Die reckte den erhobenen Daumen hoch, um ihm anzuzeigen, dass sie dieselbe Nachricht erhalten hatte. Im Geist stellte sich K'vin die Ödnis aus vulkanischer Asche vor, die sich vom Mount Garben bis
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