Drachenblut 01 - Die Väter
begann die Hexe dröhnend, »die Jahre scheinen deine
Erinnerungen getrübt zu haben.«
Im Saal
wurde es totenstill. Vorher herrschte geschäftiges Treiben, denn die
regelmäßigen Besuche der Alten gehörten zur traurigen Tagesordnung. Umso mehr
hallten die aufsässigen Worte des Grafen nach. Dieser schien den Verstand
verloren zu haben. Dass mit der Alten nicht zu spaßen war, darüber war sich
jeder klar. Mortimer Mordal könnte sich glücklich schätzen, wenn er den
nächsten Tag noch erleben dürfte.
Als ob
sie sich jedoch ihrer eigenen Worte und derer des Grafen nicht mehr erinnern
konnte, keifte die Alte einfach weiter: »Gebt mir das Kind - sofort - ich will
den Knaben.«
Eine
der Wachen trug ein kleines Bündel zu der Hexe und legte es ihr vorsichtig vor
die Füße. Ein leises Wimmern klang daraus, was die Alte allerdings nicht davon
abhielt, es lieblos an sich zu reißen. Ohne noch ein weiteres Wort zu
verlieren, wandte sie sich nun zum Gehen. Als sie fast schon an der großen Tür
angekommen war, flog diese nach innen auf und machte Platz für eine kreischende
junge Frau … offensichtlich die Mutter des Neugeborenen.
»Gute
Frau«, stammelte diese verzweifelt, »bitte lasst von meinem Kind ab. Nehmt mich
... nehmt mein Leben, denn es ist von nun an ohnehin völlig wertlos.« Weinend
und flehend warf sich die Frau der Hexe zu Füßen.
»Mach
mir Platz - bevor ich Euch beiden das kümmerliche Leben nehme, du Närrin«,
krähte die Alte und stieg, ohne weiter Notiz von der Mutter zu nehmen, über
diese hinweg. Eiligen Schrittes entschwand sie und hinterließ, wie immer,
ratlose Gesichter.
Die
Hexe flog fast über die Zugbrücke und holte, vor der Burg angekommen, zum
ersten Mal wieder tief Luft. In den tausenden Jahren ihrer Existenz war sie
noch nie so atemlos, hatte sie sich nie zuvor so schwach und verletzlich
gefühlt, wie an diesem Tage. Es war höchste Zeit die Dinge zu einem guten Ende
zu führen. Nun, wo für die Henkersmahlzeit gesorgt war, galt es so schnell als
möglich die Höhle zu erreichen. Die Hauptfigur ihres Planes wartete dort schon
eine ganze Weile. Der junge Ritter hatte nicht einmal eine Ahnung von dem, was
ihn erwartete.
Aber
wer war dieses Mädchen, welches sie in ihren Visionen an seiner Seite gesehen
hatte? Nur schemenhaft hatte sie erkennen können, was es mit ihr auf sich
hatte. Ein Blick auf das, was in der Höhle passieren würde, blieb ihr völlig
verwehrt. Nicht zuletzt dieser Umstand war es, der sie besonders unruhig werden
ließ.
Kapitel 20: Aufbruch
Siegfried
machte sich nicht die Mühe die toten Wölfe zu verscharren. Stattdessen warf er
sie auf einen Haufen. Eine Lehre sollten sie ihren Artgenossen sein! Einen
unverwundbaren Ritter sollte man nicht herausfordern - auch nicht als Wolf.
Siegfried kicherte in sich hinein. Es war ein Umstand, an den er sich zu
gewöhnen hätte ...
Schnell
hatte er, noch bevor die Sonne richtig aufgegangen war, das karge Hab und Gut
in den Satteltaschen verstaut. Mit Erschrecken stellte er fest, dass
offensichtlich einer der Wölfe die Milchblase fortgeschleppt hatte. Somit
fehlte ihm wieder einmal jegliche Nahrung für den Säugling. Wenn er sich jedoch
sputete, so würde er schon am späten Mittag das Kinderheim erreichen und könnte
dann den kleinen Wicht in die erfahrenen Hände der Magd geben.
Siegfrieds
Blick fiel auf Kates Grab und er konnte es nicht verhindern, dass sich erneut
Tränen in seinen Augen sammelten. Er hatte sie nur kurze Zeit gekannt und
trotzdem war sie ihm schon in diesen wenigen Tagen so sehr ans Herz gewachsen. Was
wäre, wenn sie überlebt hätte? Wäre sie ihm eine treue Schwester gewesen oder
gar sein liebevolles Weib geworden? Keiner konnte es sagen und wieder zum
Leben erwecken konnte selbst er niemanden.
Siegfried
wischte die trüben Gedanken beiseite und schwang sich, bereits einen kurzen
Moment später, auf sein Pferd. Den Säugling hatte er sich vor den Bauch
gebunden. Beim Reiten würde er das hungrige Geschrei auch nicht mehr so laut
vernehmen ... so hoffte er zumindest.
Kurze
Zeit war Siegfried erst im Sattel, als er vor sich auch schon die Kreuzung
unter der großen Eiche erahnte. Hier galt es das Ross nach links zu lenken, um
so schnell als möglich das Kinderheim zu erreichen. Er freute sich bereits auf
reichliche Speisen und darauf, auch die Verantwortung für das kleine Geschöpf
in die Hände eines Weibes geben zu können. Je näher er der Kreuzung kam, desto
eigenartiger
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