Drachenblut 01 - Die Väter
geringste Anzeichen einer Verletzung war zu ertasten.
Die Zähne des Wolfes hatten sein Fleisch anscheinend knapp verfehlt. Nun
erinnerte er sich an das zweite Ungetüm, welches sich in seinem Nacken
festgebissen hatte. Auch hier verspürte er keine Spur einer Verwundung. Seltsam
erschien es ihm - seltsam, aber nicht minder faszinierend. Er dachte an Kates
letzte Worte. Sollten Kraft und Härte des Drachen wirklich auf ihn
übergegangen sein? Hexerei würde man es heuer nennen und die Wenigsten
dürften erfreut darauf reagieren.
Siegfried
zog sein Jagdmesser aus der ledernen Scheide. Jetzt würde er ja sehen, ob sein
Fleisch tatsächlich unverwundbar wäre. Mit einer langen Bewegung führte er die
scharfe Klinge über seinen Unterarm. Eine Verletzung konnte er danach jedoch
nicht erkennen. Wieder und wieder zog er das Messer über unterschiedliche
Stellen an seinem Körper. Die Auswirkungen blieben stets die Gleichen.
Was
soll ein Mann, der eben noch um sein nacktes Leben bangte, in einem solchen
Moment empfinden? Siegfried war wie gelähmt. Tränen schossen ihm in die Augen.
Auf der einen Seite fühlte er sich stark ... bärenstark. Andererseits müsste er
besonnen vorgehen, wenn er nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollte. Die Zukunft
lag wieder einmal mehr als ungewiss vor ihm. Ein Zustand, an den er sich zu
gewöhnen hatte.
Kapitel 18: Derweil auf der Burg
Eine
kleine Gruppe von Handlungsreisenden überquerte die Zugbrücke, um am heutigen
Tage ihre Waren anzupreisen. Am Marktplatz angekommen, löste sich ein Kaufmann
aus der Formation und unterhielt sich mit einer der Wachen. Kurz darauf sah man
den Posten, geschwinden Schrittes, in das Innere der Burg eilen.
Als
wenig später Graf Mortimer selbst, in Begleitung einiger Ritter, an Ort und
Stelle erschien, da verstummte das lebendige Treiben fast augenblicklich. Es
kam selten vor, dass man den Grafen an einem Markttag zu Gesichte bekam. Und
wenn, dann hatte das in der Regel kaum etwas Gutes zu bedeuten.
Alle
Augen ruhten auf dem Grafen, als dieser das Wort an einen der Kaufleute
richtete: »Handelsmann! Berichte geschwind von den Dingen, die du vernommen
hast.«
Die
Spannung knisterte förmlich in der Luft. Jeder der Umherstehenden versuchte zu
hören, was der Graf mit seinem Gegenüber zu besprechen hatte.
»Herr,
ich komme direkt aus dem Westen. Man erzählt sich dort, dass ein junger Ritter
einen Drachen getötet haben soll. Ich glaube Siegfried heißt der tapfere
Recke«, antwortete ihm der Händler pflichtbewusst.
»Bist
du sicher? Oder ist es wieder nur eines dieser Ammenmärchen? Sprich Händler«,
bohrte der Graf unvermindert weiter.
»Herr -
verzeiht. In jeder Schänke auf dem Weg hierher hörte ich von den Heldentaten
dieses Drachentöters. Es kann wohl kaum ein Ger...«, der Händler verstummte
urplötzlich, denn der Graf hob den Arm, um ihm Einhalt zu gebieten.
»Das
genügt! Parcival ... gib dem Mann fünf Silberstücke. Nein! - zehn sollen es
sein. Solch frohe Kunde ist es wert.« Zufrieden eilte der Graf davon.
Parcival
- er hatte schon Mortimers Vater treu zur Seite gestanden und war sich bis
heute sicher darüber, dass er nun, seit Jahren schon, dessen hinterhältigem
Mörder diente. Zuletzt war er selbst es, der den steifen Leichnam gefunden
hatte. Dem jungen Grafen Mortimer hatte er sogleich ewige Treue bis in den Tod
versichert. Es war ein Verhältnis, welches kaum auf Liebe oder Sympathie
basierte, aber es war eine sinnvolle Zweckgemeinschaft die beiden Vorteile
brachte. Parcival hatte dem jungen und unerfahrenen Grafen manche Peinlichkeit
erspart. Das Regierungsgeschäft war knochenhart. Ein erfahrener Ratgeber war
mehr wert als Berge von Gold. Das hatte auch Mortimer schnell gelernt. Nun
allerdings war Parcival längst in die Jahre gekommen. Es verging kaum ein Tag,
an dem er nicht um seine Existenz oder gar sein Leben bangte. Der Graf hatte
das Regieren erlernt und bewies dieses jeden Tag mit geradezu unerbittlicher
Härte. Oft genug gab er Parcival das Gefühl überflüssig zu sein. Eine wirkliche
Aufgabe hatte der getreue Diener schon seit Langem nicht mehr. Es waren
vielmehr Rituale und kleine Funktionen der Exekutive, welche seine Tage noch
ausfüllten.
Parcivals
Blick fiel auf Edward, Graf Mortimers Sohn. Einen seltsamen Ausdruck glaubte er
in dessen Gesicht zu erkennen - einzuordnen vermochte er diesen jedoch nicht.
Es war eine Art von Erleichterung, aber auch ein unendliches Maß an
Verschlagenheit darin. Ihre
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