Drachenblut
glaubt man ja nie, wenn sie davor warnen, alles durcheinander zu essen.«
»Ach hätte ich doch nur auf dich gehört«, kicherte das kleine Mädchen. »Mein Bauch zwickt fürchterlich!«
Gott lachte zusammen mit dem kleinen Mädchen über ihre Ungestümtheit, aber dann zuckten seine Augenbrauen zusammen, als wäre ihm ein böser Gedanke im Kopf herumgegangen. Sein Lächeln verwandelte sich in einen besorgten Gesichtsausdruck.
»Was schaust du denn so traurig drein?« fragte das kleine Mädchen. »Beinahe könnte man denken, dir täte der Bauch weh, und nicht mir.«
Am Horizont zogen ein paar Gewitterwolken auf.
»Nun sag schon, was bedrückt dich?« Natürlich spürte das kleine Mädchen, dass es da etwas gab, was Gott auf der Seele lag. »Willst du dein Geheimnis nicht mit mir teilen? Ich verspreche auch, dass ich es auf immer für mich behalten werde, großes Indianerehrenwort.« Das kleine Mädchen erhob die Hand zum Schwur und überkreuzte dabei nicht einmal die Finger ihrer anderen Hand hinter dem Rücken.
Um dem kleinen Mädchen nicht antworten zu müssen, war es bestimmt keine schlechte Idee das Gespräch auf ein anderes Thema zu bringen. »Weißt du was, kleines Fräulein, wie wäre es denn, wenn ich dir ein paar Zauberkunststücke vorführen würde?«
»Au fein«, freute sich das Mädchen. Ein Zauberkunststück sah sie immer gerne, und es war ihr schon oft gelungen, aufgrund ihrer Beobachtungsgabe den einen oder anderen Magier zu durchschauen, worauf sie sehr stolz war.
»Zuerst brauche ich einen kleinen Gegenstand, der in einer Handfläche Platz finden kann. Eine Münze vielleicht oder einen Talisman.«
Das Mädchen durchforstete die Taschen ihres Kleides und brachte fünf Kieselsteine zum Vorschein, von denen sie Gott einen überreichte. Die anderen vier Steine steckte sie wieder zurück in ihre Tasche, als wären es kostbare Kleinode, mit denen sorgsam hauszuhalten war.
»Nun schau gut her, ich will dir einen ganz besonderen Trick zeigen.« Gott legte sich den Kieselstein auf seiner Handfläche zurecht und schloss dann die Hand zur Faust. Mit der anderen Hand beschwor er den umschlossenen Stein und murmelte dazu einen Zauberspruch, der nicht genau zu verstehen war. »Und jetzt Achtung!«
Als Gott seine Hand wieder öffnete, war der Kieselstein verschwunden. Das kleine Mädchen bekam ganz große Augen und konnte es nicht fassen. Sie hatte doch ganz genau aufgepasst, was Gott mit seinen Händen anstellte, und es war ihm ganz bestimmt unmöglich gewesen, den Stein aus der Hand verschwinden zu lassen, ohne dass sie es bemerkt hätte. Ausgeschlossen, die Sache war nicht mit redlichen Mitteln zugegangen.
»Du schummelst ja!« warf ihm das kleine Mädchen vor. »Ich habe ganz genau gesehen, dass der Kieselstein noch in deiner Hand sein müsste!«
»Ich soll geschummelt haben?« wies Gott die Anschuldigung mit gespielter Entrüstung zurück. »Ich habe es doch gar nicht nötig, mit faulen Tricks zu arbeiten. Schließlich bin ich Gott, und ich kann wirklich zaubern!«
»Ja schon, aber das hat doch nichts mit einem Zauberkunststück zu tun, wenn du den Stein einfach aus deiner Hand verschwinden lässt! Es ist wohl nicht schwer für dich, mich auf diese Weise hinter das Licht zu führen.«
Gott erkannte, dass ihn das kleine Mädchen tatsächlich beim Schummeln ertappt hatte, und er lachte, dass er einen roten Kopf bekam.
»Aber wo ist denn nun mein Stein geblieben? Ich möchte sofort meinen Glücksbringer zurück haben!« forderte das kleine Mädchen. In ihrer Stimme waren zweifellos sehr ungehaltene Zwischentöne auszumachen. »Du hast mir versprochen, dass ich ihn wieder bekomme.«
Offensichtlich war das Mädchen nicht so leicht zu täuschen, wie Gott sich das erhofft hatte. Es hatte keinen Zweck, sie noch länger hinzuhalten, vielleicht war sie wirklich stark genug, um die Wahrheit zu erfahren.
»Also, wo ist mein Glücksstein geblieben?« Das kleine Mädchen streckte den Arm aus und hielt ihm die offene Handfläche vor das Gesicht.
Gott wandte sich ab und zögerte. Anstatt ihr zu antworten, starrte er gedankenverloren auf die Wipfel der uralten Tannen, die sich drüben an der Ziegelmauer im aufkommenden Wind bogen. Noch wäre es in seiner Macht gestanden, den Lauf der Dinge abzuändern, noch hätte er den Besuch des kleinen Mädchens als völlig bedeutungslos
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