Drachenblut
würde. Aber Virgil hatte keine andere Wahl, er musste seine Angst überwinden und den Styx.x durchschwimmen. Daran führte kein Weg vorbei.
Er wollte gerade mit einem kühnen Satz in den Datenstrom eintauchen, als er von seiner rechten Seite her ein gefährliches Knurren vernahm. Noch ehe er sich danach umsehen konnte, wurde er auch schon angefallen und mit roher Gewalt zu Boden geworfen. Eine geifernde Bestie schlug mit ihren Krallen nach ihm. Das konnte nur Cerberus sein, ein selbständig operierendes Datenschutzprogramm, das die Hauptübertragungsleitungen des Systems gegen unbefugte Benutzer verteidigte. Es war ein Kampf auf Leben und Tod, während am Himmel das ferne Donnergrollen verhallte. Virgil wurde arg gebeutelt. Cerberus hatte ihn am Bein gepackt und zerrte ihn nun am Ufer des Styx.x hin und her, dass ihm Hören und Sehen verging. Zunächst hatte es den Anschein, als hätte Virgil keine Chance gegen den Angreifer, der sich mit übermenschlichen Kräften auf sein Opfer stürzte. Es gelang Virgil aber, mit seinem Fuß nach einer zufällig im Styx.x vorbeiziehenden Zahlenreihe zu treten, diese auseinanderzusprengen, wodurch wiederum viele Meilen entfernt ein Notprogramm aktiviert wurde, das nach den Ursachen der plötzlichen Störung suchte. Schon kamen die Hilfsprogramme herbeigeeilt und stürzten sich ihrerseits auf die heftig miteinander ringenden Störenfriede. Das schwächte nun Virgil zunächst ebenso wie Cerberus. Es ermöglichte ihm aber, ein wenig Luft zu bekommen, und er zwang sich dazu, ganz still zu halten, um seine Neutralisierung vorzutäuschen.
Die Hilfsprogramme bemerkten schnell, dass Virgil isoliert war. Sie wandten sich von ihm ab und fielen nun mit vereinten Kräften über Cerberus her. Das war kein schöner Anblick, als ihm der digitale Garaus gemacht wurde. Cerberus heulte und jammerte, er konnte jedoch die Attackierenden nicht mehr abschütteln. Schließlich erlag er der Übermacht, die Bit für Bit aus ihm herauslöste, bis er im Nichts verschwunden war. Als die Hilfsprogramme ihre Arbeit beendet hatten, wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder Virgil zu, da auch er noch zur Desintegration anstand. Schnell rappelte sich Virgil auf. Seine einzige Rettung war die Flucht nach vorne. Ohne lange zu zögern sprang er kopfüber in den Styx.x, um sich in Sicherheit zu bringen. Er tauchte in den Datenstrom ein und wurde auch schon von ihm mitgerissen, hinweg in eine ungewisse Zukunft.
39
Gott und das kleine Mädchen verstanden sich auf Anhieb ganz prächtig. Sie saßen auf dem Balkon, aßen Eiscreme, soviel sie nur mochten, alberten herum und unterhielten sich über alles, was ihnen auf dem Herzen lag. Gott berichtete von seiner Kindheit, wie er geboren und aufgewachsen war, er erzählte von versunkenen Städten und vom Aufstieg und Fall mächtiger Königreiche. Das kleine Mädchen lauschte gespannt seinen Ausführungen, die so anders waren als alles, was sie in der Schule darüber gehört hatte. Dann berichtete das kleine Mädchen von ihrem Leben. Aufgeregt erzählte sie, wie sie gegen fürchterliche Drachen gekämpft hatte, wie sie über den Wolken geflogen war und wie sie sich unsichtbar machen konnte. Ihre Phantasie ließ kein noch so kleines Detail aus. Es war Gott ein wahres Vergnügen, dem Kind zuzuhören, das seine Erlebnisse so lebhaft vortrug, dass es keinen Zweifel an deren Wahrheit geben konnte.
An seiner guten Laune war deutlich abzulesen, dass sich Gott sehr über den unverhofften Besuch freute. Es war schon lange her, dass er hier Gäste empfangen hatte, und es war ein besonderes Erlebnis für ihn, ein dermaßen unbekümmertes und lebenslustiges Mädchen wie dieses in seinem Heim begrüßen zu dürfen. Das kleine Mädchen schien mit ihm ohne Ansehen seiner Person umzugehen, und ihre kindliche Naivität erlaubte es ihr, seinen gesellschaftlichen Status als etwas völlig Nebensächliches hinzunehmen.
Das kleine Mädchen nahm einen großen Schluck von der selbst gemachten Zitronenlimonade, und Gott verdrehte die Augen, um sie dabei aus der Fassung zu bringen. Über die Späße musste das kleine Mädchen lachen, bis ihr der Bauch fürchterlich weh tat und ihr die Tränen in die Augen schossen. Schnell stellte sie das Glas wieder ab, bevor sie dessen Inhalt über den Tisch verspritzte.
Ich glaube, ich platze gleich. Vielleicht hätte ich vorhin doch nicht die ganze Eiscreme auf einmal verschlingen sollen.«
»Den Erwachsenen
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