Drachenblut
Dämonen waren in die Flucht geschlagen.
Das Mädchen richtete sich benommen auf, schob sich die Mütze auf dem Kopf zurecht und schaute sich verwundert um. Der Garten hatte sich verändert. Aus den dürren Bäumen waren stattliche Eichen geworden, die ihre dichten Baumkronen stolz in den Himmel erhoben. Das Gebüsch sah nicht länger verdorrt aus, sondern war grün und hing voll mit saftigen Beeren. Eine große Wiese breitete sich vor ihr aus, fleißige Insekten summten über das Meer von Blumen, und über allem hing der Duft von abertausenden Blüten, der sich wie ein bittersüßer Schleier über das Land gelegt hatte. Schwalben schlugen ihre tollkühnen Kapriolen in der Luft und überboten sich gegenseitig mit atemberaubenden Kunststücken. Schillernde Schmetterlinge begrüßten den Neuankömmling und umflatterten aufgeregt den Kopf des kleinen Mädchens, das dem bunten Treiben verzaubert zusah. Wie in Trance breitete sie die Arme aus, drehte sich um die eigene Achse und betrat eine Welt, die vor wenigen Minuten noch nicht existiert hatte. Barfuß tanzte das Mädchen durch den Garten, und sie vergaß dabei völlig, warum sie eigentlich hergekommen war.
Ein milder Wind strich über die Wiese und vertrieb die Hitze des Tages. Aus einem Weidenbusch war das Schlagen der Finken zu hören, die sich im Schatten der Äste niedergelassen hatten. Daneben stritt ein Schwarm Sperlinge um einen fetten Wurm, der dabei mehr in die Länge gezogen wurde, als ihm lieb sein konnte. Das kleine Mädchen schloss die Augen. Obwohl sie noch nie in ihrem Leben hier gewesen war, spürte sie eine Geborgenheit, wie sie sie noch nie gekannt hatte. Das hier musste das Paradies sein, dachte das Mädchen, von hier wollte sie nie wieder fort.
Sie brach sich eine dornige Rose, ein winziger Tropfen Blut trat aus ihrem Finger aus und fiel auf ihr Sommerkleid. Von alledem bemerkte das Mädchen nichts, in ihrer Euphorie maß sie den Zeichen keine Bedeutung zu. Glücklich ließ sie sich vom Wind über die Wiese treiben, und dann war ihr plötzlich, als würde sie aus der Ferne beobachtet. Das Mädchen zuckte zusammen, und die Leichtigkeit des Augenblickes fiel wie ein Stein von ihr. Ängstlich schaute sie in die Richtung des Hauses, von wo sie eine Bewegung wahrgenommen zu haben glaubte. Aber das Haus lag einsam in der Mitte des Grundstückes, ohne dass sich etwas rührte. Die Abendsonne stand wie eine feurige Kugel am Horizont und warf ihre letzten Strahlen auf das Land. Vielleicht hatte sie sich alles nur eingebildet, überlegte das Mädchen. Und jetzt fiel ihr auch wieder ihr Ball ein, der noch irgendwo in der Wiese lag und auf Rettung wartete. Das Mädchen machte kehrt und durchstreifte ziellos das hohe Gras, wobei sie immer wieder in Richtung des Hauses schaute, das sie faszinierte und doch zugleich erschreckte. Endlich konnte sie den Ball durch das Gras hindurch schimmern sehen. Mit wenigen Schritten war das Mädchen dort und nahm ihn an sich. Jetzt musste sie nur noch schnell zurück zur Mauer, und sie war in Sicherheit.
Das Mädchen wollte gerade loslaufen, als von hinten ein langer Schatten auf sie fiel. Erschrocken fuhr sie herum, und im ersten Augenblick konnte sie gegen die Sonne nur die Umrisse eines großen Mannes sehen. Geblendet hob das kleine Mädchen ihre Hand vor die Augen. Die Sonnenstrahlen leuchteten durch die Haare des Mannes und verliehen ihm eine geheimnisvolle Aura. Sein ganzer Körper schien zu glühen und dabei eine Wärme auszustrahlen, die beruhigend auf das Mädchen wirkte. Ihre Intuition sagte ihr sofort, wen sie da vor sich hatte. Schüchtern presste sie den Ball mit den Armen an ihre Brust und senkte verlegen die Augen zu Boden.
38
Mit einigem Interesse sah Virgil zu, wie zwei Uniformierte auf den Kunden einprügelten, der in der Elektronikabteilung nicht vom Computer lassen wollte. Von dieser Seite des Bildschirmes sah die Auseinandersetzung beinahe wie ein lustiges Videospiel aus. Für jeden Treffer gab es vielleicht irgendwo einen Punkt zu verbuchen, und am Ende stand es 23 zu 0 für die Beamten, die mit Begeisterung zur Sache gingen, als wüssten sie nicht, dass sie nur Spielfiguren waren.
Die Erfahrungen, die Virgil im Kaufhaus gemacht hatte, sagten ihm, dass eine Kommunikation mit der Außenwelt möglich, wenn auch nicht unbedingt produktiv war. Wenn sich allerdings alle Menschen so naiv mit der Technik auseinandersetzten wie dieser Kunde, dann war auf Hilfe von
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