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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lee Parks
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lebensmüden Sonderling genauer anzusehen.
        Ein gekünsteltes Lachen entfuhr Virgils Kehle. »Hoho! Du kannst mir gar nichts anhaben!«
        »Das werden wir ja gleich sehen, Amigo. Die Revolution duldet keine Feiglinge. Wer sich gegen den Fortschritt stellt, der hat sein Leben schon verwirkt.«
        »Deine Worte vermögen mich vielleicht zu verletzen, aber deine Kugeln können mich nicht treffen!«
        »Na, dann kann ich ja beruhigt abdrücken«, gab der Guerillero zurück. Er legte seine Flinte an, peilte über Kimme und Korn und schoss, als er das Weiße in Virgils weit aufgerissenen Augen sah.
        Damit hatten sich Virgils diplomatische Fähigkeiten als ungenügend erwiesen, jetzt konnte ihn nur noch ein Wunder retten.
        Das Wunder ereignete sich in Form einer bizarren Dehnung des Urwaldes. Einen Steinwurf von Virgil entfernt tat sich mitten in der Luft ein heller Spalt auf. Die Geometrie des Raumes zerfloss in einem psychedelischen Farbenrausch, und der Dschungel teilte sich, als würde ein gläserner Vorhang zur Seite geschoben. Eine unsichtbare Kraft packte Virgil und zog ihn durch den Spalt hindurch in das Licht, kurz bevor die Kugel aus dem Gewehr des Guerilleros in sein Gehirn einschlug.
        Virgil trat von einer Realität in die andere hinüber. Der Wechsel der Sphären war von intensiver Helligkeit begleitet. Es erschien Virgil, als diffundiere er von einem Medium in ein anderes und stünde nun auf einer Bühne im Rampenlicht, wo er seinen großen Auftritt hatte. Ängstlich schaute er zurück. Hinter ihm schloss sich der Vorhang wieder, und der Urwald war ebenso verschwunden wie die unbekannte Kraft, die ihn in letzter Sekunde gerettet hatte. Diese Kraft hatte eine ungewöhnlich starke Präsenz gehabt. Virgil hätte schwören können, dass ihr sogar eine gewisse Persönlichkeit zuzuschreiben war. Es hatte sich zweifellos um ein körperloses Wesen gehandelt, das in der Tradition eines antiken Theaterstückes aus den Tiefen des Systems emporgestiegen war, seine Hand ergriffen und ihn aus dem Dunkeln in das Licht geführt hatte. Eine solche spektakuläre Aktion erforderte genaueste zeitliche Abstimmung und ein Gespür für Dramaturgie. Die Rettung war durch den Ablauf der Ereignisse nicht zwingend erforderlich gewesen. Wenn aber seine Rettung tatsächlich Absicht war, dann musste es einen Regisseur geben, der für die Inszenierung verantwortlich war. Unter Berücksichtigung der Umstände schien es nur einen Terminus zu geben, mit der sich die Natur seiner Rettung erschöpfend beschreiben ließ: Deus Ex Machina! Virgil war davon überzeugt, dass seine Rettung ein Akt der Gnade war, und damit ebenso von göttlicher Natur wie notwendig gewesen war.
        Eine unwirkliche Stille umgab Virgil, eine Stille, die nach dem Chaos der Revolution geradezu beängstigend wirkte. Nur unweit entfernt von ihm brannte eine Glühlampe, die wohl auch für das Licht verantwortlich gewesen war, das ihn geblendet hatte. Virgil stellte sehr schnell fest, dass er sich noch immer irgendwo im System befand. Der vertraute Anblick der Transistoren und Kondensatoren überzeugte ihn davon, dass sich seit seinem kleinen Ausflug in das Videospiel nicht viel geändert hatte. Mit bedächtigen Schritten machte er sich wieder auf den Weg. Er fragte sich ernsthaft, ob es nicht sinnvoll sei, sich hier im System auf die Suche nach dieser Kraft zu machen, die er als überlegenes Bewusstsein definierte, welches zweifellos irgendwo im Rechner als Teil des Ganzen existierte und ihm womöglich die Antworten auf alle seine Fragen geben konnte.
     

43
     
    Heute war Erfindermesse. Vom STAR wurde Fink dazu auserkoren, über das Ereignis zu berichten, wenn er auch viel lieber zur Miss-Tanga-Wahl gegangen wäre, die zum gleichen Zeitpunkt im selben Hotel stattfand. Den Auftrag mit der Miss-Tanga-Wahl erhielt ausgerechnet Schönfeldt, dem das natürlich nur recht war. Noch lieber wäre Schönfeldt in der Jury gesessen. Leider war dieser Posten schon von der POST besetzt worden, die wohl dichter am Ball gewesen war und dem Veranstalter rechtzeitig eine wohlwollende Berichterstattung zugesagt hatte. Fink wagte noch vorzuschlagen, doch auch ihn zur Miss-Wahl zu schicken. Dann könnte er die Fotos machen, während Schönfeldt sich um die Interviews mit den Veranstaltern kümmerte. Aber der Chef und natürlich auch Schönfeldt duldeten keine Widerrede.
     
    Vor dem Hotel herrschte großer Bahnhof. Pausenlos fuhren dunkle

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