Drachenblut
der er das werte Auditorium überrumpelte, »… den raisin d'être meines, äh, meines Sohnes Beitrag zum Wettbewerb.«
Die Jury lauschte skeptisch den Ausführungen des Vaters, dessen Unsicherheit im Umgang mit Fremdwörtern ihn nicht daran hinderte, jetzt so richtig in Schwung zu kommen und kräftig vom Leder zu ziehen.
»Wo bleibt denn in der heutigen, von Oberflächlichkeit gezeichneten Zeit die Ästhetik der menschlichen Existenz? Wo finden wir noch Tiefe im Sein? Das Preisschild ist ein Symbol für die Käuflichkeit der Gesellschaft, für den Verlust und den Wandel der Werte im täglichen Leben.«
Dagegen konnte nun wirklich niemand etwas sagen. Die versammelten Lehrkräfte nickten andächtig mit ihren Köpfen, während der Sohn seinen Vater anstarrte, als stamme dieser von einem anderen Planeten. Die Ironie der Szene lag aber darin, dass der Vater mit seiner improvisierten Rede unwissentlich den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
»Sehr schön, sehr schön«, murmelte die Religionslehrerin und gab damit stellvertretend für alle zu verstehen, dass sie rein gar nichts begriffen hatte. Dafür tätschelte sie die Wangen des Sohnes, der diese Form der Beifallsbekundung einfach ekelhaft fand.
Die Preisrichter machten ihre entsprechenden Vermerke in die Bewertungsbögen und zogen dann weiter, um sich auch den anderen Exponaten zu widmen. Die Religionslehrerin, die noch immer die handgeschnitzte Muttergottes bewundernd in ihren Händen hielt, wollte noch schnell am Heiligenschein drehen, um das Glockenspiel ein letztes Mal zu aktivieren. Es gab einen kleinen Knacks, und schon hatte sie den zierlichen Lichterkranz in der Hand. Da hatte sie wohl etwas zu heftig am Federwerk gedreht. Die ganze Figur begann unkontrolliert zu blinken, und das Ave Maria wurde immer schneller herabgedudelt. Nur gut, dass die anderen weitergegangen waren. Schnell legte sie das Kunstwerk beiseite und eilte ihren Kollegen hinterher.
Ein Reporter vom STAR schlenderte gelangweilt in der Halle umher, besah sich hin und wieder ungläubig eines der Exponate und fragte sich, ob er hier vielleicht an der falschen Adresse war. Zu seiner Zeit hatte man noch ganz andere Arbeiten in der Schule gemacht, die, wie sollte er sagen, nicht unbedingt das Niveau der heutigen Ausstellung gehabt hatten. Aber die Zeiten änderten sich eben, und es war doch erfreulich, welche Früchte eine solide Schulbildung tragen konnte. Wenn es ihm gefiel, dann zückte der Mann von der Zeitung seine Kamera, schoss von einem der Kunstwerke ein Foto und mochte sich zuweilen dabei vorkommen, als wandere er als Tourist im Louvre umher. In dieses verklärte Bild passte allerdings nicht der Lärm, der zunehmend durchdringlicher wurde. Es war eine Geräuschkulisse, wie er sie aus den Elektronikabteilungen der großen Kaufhäuser kannte, wo die Kinder nach der Schule die Spielcomputer belagerten und die Verkäufer zur Weißglut brachten.
Arthur nannte seine Collage die Nintendo-Version von MacBeth, und sehr schnell hatte sich unter den Schulkindern die Attraktion herumgesprochen. Eine ganze Horde Neugieriger drängte sich binnen weniger Minuten um Arthurs Stand und delektierte sich am Dargebotenen. Das Kunstwerk bestand im Wesentlichen aus einem Bildschirm und einem portablen Videorecorder, der dem Monitor über eine Unmenge von elektrischen Leitungen Szenen von Mord und Totschlag zuspielte. Diese zeitgeschichtlichen Dokumente, Arthur nannte sie Wahrheitsfragmente, waren jedermann aus den täglichen Nachrichten bekannt. Arthur hatte aus der Bilderflut des Fernsehens einzelne Szenen selektiert, diese nach dem Zufallsprinzip aneinandergesetzt, elektronisch verfremdet und mit einer lärmenden Tonspur versehen. Die Höhepunkte eines Putsches in einer lateinamerikanischen Bananenrepublik wurden so zum bunten Videospiel aufbereitet, in das der Betrachter mittels eines Joysticks aktiv eingreifen konnte. Es entstand auf diese Weise eine interaktive Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter, und damit hatte Arthur das Ideal eines jeden Künstlers erreicht.
Die Schulkinder jubelten auf. Der Kopf des Diktators rollte mit einem Doink , Doink , Doink die Treppen des Palastes hinab, während ein schwitzender Junge unter den Zurufen seiner Kameraden versuchte, den Schädel mit einem virtuellen Strohhut aufzufangen. Für jeden misslungenen Versuch gab es zehn Strafpunkte, aber keine Bange, der Vorrat an Despoten war unbegrenzt, und das
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