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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lee Parks
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Graffiti-Künstler, der in seinen obszönen Schmierereien den gesamten Lehrkörper verhöhnte, wurde beachtliche Begabung attestiert, auch wenn er sich nicht an die Teilnahmeregeln gehalten hatte. Er wurde dringend gebeten, sich doch bitteschön bei der Schulleitung zu melden, damit seine Bemühungen entsprechend honoriert werden könnten. Natürlich meldete sich niemand auf den Aufruf, so naiv konnte nur die Schulleitung sein, und der erste Preis des Wettbewerbs blieb unvergeben, was bei nicht wenigen der Schüler und Eltern auf Unverständnis stieß und das Ansehen der Schulleitung zusätzlich verschlechterte.
     

11
     
    Virgil saß gelangweilt an seinem Arbeitsplatz herum. Heute war nicht unbedingt viel geboten, genauso wenig wie die letzten paar Jahre los gewesen war. Virgil hatte sich schon dabei ertappt, wie er sich einen kleinen Atomkrieg herbeiwünschte, nur einen winzig kleinen, damit endlich etwas Schwung in sein tristes Leben kam. Wenn ihn solche Gedanken überkamen, dann trommelte Virgil mit seinen Fingern nervös auf dem Tisch herum und starrte auf den roten Knopf, der sich direkt vor ihm auf dem Instrumentenbrett befand. Das war der Knopf, den er zu drücken hatte, wenn das Telefon klingelte, welches nur unweit des roten Knopfes an der Wand hing. Bis jetzt hatte das Telefon freilich noch nie einen Ton von sich gegeben, und Virgil hatte in der Vergangenheit genug Zeit gehabt darüber nachzudenken, was er dem Präsidenten sagen sollte, wenn der Apparat eines Tages tatsächlich klingeln würde. Ob er sich für die gute Zusammenarbeit bedanken sollte? Überhaupt, wie sollte er den Präsidenten anreden, Herr Präsident etwa? Oder Mister President? Vielleicht war es auch angebracht, den Präsidenten beim Vornamen zu nennen. Alle Welt tat dies, warum also nicht auch ein kleiner Raketentechniker, der irgendwo in den Bergen in einem unterirdischen Bunker saß und sich schrecklich langweilte?!
        Früher hatte es hier im Bunker vor Menschen nur so gewimmelt, aber das war schon lange her. Damals waren Mechaniker und Ingenieure, Techniker und Systemexperten, Physiker und Informatiker wie emsige Ameisen durch die endlosen Gänge geeilt und hatten den Komplex mit Leben erfüllt. Jeder von ihnen hatte eine spezielle Aufgabe gehabt, deren gewissenhafte Erfüllung von höchster Bedeutung für die nationale Sicherheit war, so war ihnen von ranghohen Militärs versichert worden. Irgendwann hatte sich Virgil umgesehen und bemerkt, dass keine Menschenseele mehr da war. Seine Kollegen waren weg, einfach verschwunden, als hätten sie sich klammheimlich aus dem Staub gemacht und ihn hier unten alleine gelassen mit all der Verantwortung, die er als letzter Verteidiger der Freiheit zu tragen hatte. Es konnte aber auch möglich sein, dass das Personal plötzlich abgezogen worden war, weil der kalte Krieg vorüber war. Aber warum hatte ihm niemand Bescheid gesagt? Vielleicht hatte der große Schlag schon stattgefunden hatte, ohne dass er dies bemerkt hatte? War er der einzige Überlebende, noch nicht hinweggerafft und zersetzt von den unsichtbaren Strahlen, vor denen ihn dieser Bunker eigentlich hätte schützen sollen? Der Kontakt zur Zentrale war schon lange abgebrochen, die Funkverbindung zur Erdoberfläche hatte nur noch ein unangenehmes Rauschen aus den Lautsprechern zu bieten, und niemand war da, den er um irgendwelche Anweisungen hätte bitten können. Kein Wunder, dass sich Virgil fragte, was denn zum Teufel eigentlich los war.
        Während Virgil nachdenklich an seinem Arbeitsplatz saß, hätte er nur zu gerne einmal den roten Knopf gedrückt, mit denen er den beiden Raketen Jacques und Jean, so hatte er sie liebevoll genannt, die Freiheit schenken konnte. Die Raketen mussten sich nach all den Jahren in ihren Silos ebenso unwohl fühlen wie er, der er ebenfalls der unterirdischen Enge entfliehen wollte. Wer sagte ihm überhaupt, ob sich nicht jemand einen üblen Scherz mit ihm erlaubte. Womöglich waren der rote Knopf und das Telefon nur Attrappen, mit denen seine Vorgesetzten seine Disziplin und Eignung als Raketentechniker auf die Probe stellten. Er musste nur einmal den Hörer des Telefons abnehmen und warten, wer sich am anderen Ende der Leitung meldete. Entschlossen griff Virgil nach dem Telefon, brachte es dann aber doch nicht fertig, den Hörer von der Gabel zu nehmen. Vielleicht warteten seine Vorgesetzten genau darauf, dass er den Sinn seiner Aufgabe anzweifelte. Schnell nahm Virgil seine Hand wieder

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