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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lee Parks
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Augenklappe an, um das kleine Mädchen besser sehen zu können. »Wen haben wir denn da?«
        Der Kapitän war eine stattliche Erscheinung. Er trug einen scharlachroten Rock und einen riesigen Dreispitz mit einer Pfauenfeder oben auf. In seinem Mundwinkel hing eine geschwungene Meerschaumpfeife. Mit dem Holzbein, dem eisernen Haken als Hand, und der schwarzen Augenklappe sah er aus wie jemand aus dem Fernsehen, dachte das kleine Mädchen.
        »Ich bin der Smutje«, antwortete sie, errötete und schaute verlegen zu Boden.
        Der Kapitän betrachtete das Mädchen vom Scheitel bis zur Sohle. »Dich hab ich aber noch nie an Bord gesehen. Bist du denn ein echter Pirat?«
        Das kleine Mädchen nickte nur, ohne dabei aufzusehen.
        »Sagst du uns auch die Wahrheit?« forschte der Kapitän nach, weil es ihm merkwürdig vorkommen wollte, wie der Smutje auf seine Frage reagierte.
        Wieder nickte das kleine Mädchen mit dem Kopf.
        »Na gut, dann sing uns ein Lied!« verlangte der Kapitän, denn echte Piraten konnten Lieder singen.
        Aber selbst wenn das kleine Mädchen ein Lied gewusst hätte, wäre sie viel zu eingeschüchtert gewesen, um jetzt einfach eine Melodie anstimmen zu können.
        »Ein Lied, sing uns ein Lied!« skandierten die anderen Piraten, die sich inzwischen um das kleine Mädchen versammelt hatten und, so versicherten sie sich gegenseitig, schon immer geahnt hatten, dass mit dem Smutje etwas nicht in Ordnung sei.
        Der Kapitän stemmte seine Fäuste in die Hüfte. »So so, ein blinder Passagier, so so.«
        Das ging natürlich nicht, einen blinden Passagier an Bord zu haben (jemand machte einen mäßig erfolgreichen Witz über den alten Piet, mit dem man eigentlich schon längst einen blinden Passagier an Bord hätte), besonders undenkbar war das auf einem stolzen Piratenschiff, wo man mit solchen Fahrgästen daher nicht eben zimperlich umzugehen pflegte.
        Der Kapitän beschloss die Entscheidung über das weitere Schicksal des kleinen Mädchens seiner Mannschaft zu überlassen. »Was meint ihr, was sollen wir mit ihr anstellen?«
        Die Piraten berieten sich untereinander. Ein Matrose schlug vor das Mädchen kielholen zu lassen, und ein anderer wollte ihr gleich die Kehle durchschneiden. Der alte Piet bestand darauf, dass man sie an der höchsten Rahe aufknüpfen sollte, aber auf ihn hörte niemand. So wurde man sich einig, das kleine Mädchen entsprechend der Piratentradition auf einer Planke über Bord gehen zu lassen. Ein geeignetes Brett war schnell gefunden. Das Mädchen wurde überwältigt, die Hände wurden hinter ihrem Rücken zusammengebunden, und dann trieb man das Kind unter Androhung weiterer Gewalt auf die Planke hinaus.
        Der Kapitän stand auf dem Oberdeck und leitete das ganze Manöver. Er zog genüsslich an seiner Pfeife und blies den Rauch durch eine Zahnlücke wieder zum Mund hinaus. Es war schon lange her, dass man an Bord einen solchen Spaß gehabt hatte, und die Ablenkung tat der Mannschaft sichtlich gut. Auf seiner Schulter hatte der Kapitän den Papagei sitzen, der die Meute noch zusätzlich anstachelte. Er flatterte mit seinen Flügeln und schrie immer wieder: »Stoßt sie ins Wasser, stoßt sie ins Wasser!«
        Mit den Spitzen ihrer Säbel stachen die Piraten dem kleinen Mädchen in den Bauch und erfreuten sich daran, ihr Schmerzen zuzufügen. Und wie das Mädchen immer weiter zurückweichen musste, bekam sie ganz weiche Knie. Unter ihr war nur noch das Meer, und sie sah die Haifische im Wasser umherkreisen, die sich schon auf den unerwarteten Festschmaus freuten und sich um die besten Plätze stritten.
        »Stoßt sie ins Wasser, stoßt sie ins Wasser!«
        »Aufhängen, aufhängen, hängt sie doch auf!«
        »Ach, sei still, Piet.«
        Dann war das Ende der Planke erreicht. Das kleine Mädchen konnte nicht weiter zurückweichen und blieb mit zitternden Knien stehen. Die Piraten johlten, forderten sie auf zu springen und konnten es kaum erwarten, bis ihr Opfer über Bord gegangen war.
        »Stoßt sie ins Wasser, stoßt sie ins Wasser!« Der Papagei erhob sich von der Schulter des Kapitäns, flog auf das wehrlose Mädchen zu und flatterte dicht vor ihr herum. Das Mädchen nahm den Kopf zurück, damit ihr das Gesicht nicht zerkratzt würde, und verlor das Gleichgewicht. Rückwärts fiel sie in die Tiefe und versank im aufgepeitschten Meer. Sofort nahmen die Haifische Kurs auf

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