Drachenblut
geradezu keimfreien Eindruck. Das war eigentlich ein Zeichen dafür, dass es hier kein Leben geben konnte (oder war genau das Gegenteil der Fall?). Während Virgil auf die Monitore starrte, spürte er, dass die Kamera nach all den Jahren seiner Isolation zu einem externen Sinnesorgan geworden war, mit dem er hinaustreten konnte in eine Welt, die ihm lange verschlossen gewesen war.
KANTINE, GENERATORRAUM AREA51, SCHUTZKAMMER II/A, SANITÄTSBEREICH …
Die Kamera des Servicemobils erfasste im Vorbeifahren die Hinweisschilder, die an den Türen angebracht waren. Es war aber schon zu lange her, als dass sich Virgil hätte daran erinnern können, wo genau sich diese Räume im Bunker befanden. Virgil drückte den Steuerhebel weiter nach vorne, beschleunigte nochmals und legte das Servicemobil gehörig in die Kurven. Ihm machte die Sache mächtig Spaß, und Virgil genoss es richtig, dass er sich einmal ungehindert austoben konnte. In seiner Ausgelassenheit griff er auf kindliche Verhaltensmuster zurück und ahmte mit den Lippen das Motorengeräusch eines großvolumigen Sportwagens nach.
DESINFEKTIONSKAMMER, REQUISITE VERFÜGUNGSRAUM, SICHERHEITSSCHLEUSE …
Wie der Wind sauste das Servicemobil durch die Gänge, und Virgil musste schon genau hinsehen, um auf dem mit fein zerstäubten Speicheltröpfchen benetzten Monitor die Schilder an den Türen noch ablesen zu können.
ABSCHUSSRAMPEN, KONTROLLRAUM, ERSATZTEILLAGER …
Augenblick, hatte da wirklich Kontrollraum gestanden? Virgil bremste die Fahrt des Roboters bis zum Stillstand ab, dirigierte die Kamera nach hinten und besah sich das Schild näher, das sich dort an der Tür befand. Tatsächlich, Kontrollraum stand da geschrieben, und das bedeutete, dass er sich selbst gefunden hatte. Hinter der Tür konnte kein Geringerer sein, als er selbst. Es war für Virgil ein aufregendes Gefühl, dem einzigen Mensch so nahe zu sein, den es vielleicht auf der Erde noch gab. Aber wieder plagten ihn die alten Zweifel, ob er dem trauen konnte, was er auf den Monitoren sah. Doch es gab eine Methode, um dies sofort festzustellen. Virgil holte tief Luft, wies den Greifarm des Servicemobils per Fernsteuerung an, die Türklinke herabzudrücken und fuhr dann einfach mit dem Fahrzeug in den Kontrollraum.
Sowie sich hinter seinem Rücken die Tür öffnete, zuckte Virgil zusammen, als hätte er nicht wirklich mit dem Besucher gerechnet. Er fasste sich aber schnell wieder, sprang von seinem Stuhl auf und eilte mit weit ausgebreiteten Armen auf das Servicemobil zu. »Da bist du ja, mein Kleiner!«
Dabei konnte er in den Augenwinkeln auf den Bildschirmen des Kontrollraumes sehen, wie er selbst direkt auf die Kamera des Mobils zustürmte. Jetzt wusste er, dass er wirklich von einem anderen Objekt gesehen und erkannt wurde, und da war die Freude gleich doppelt groß.
Glücklich nahm Virgil das Servicemobil in die Arme und liebkoste es wie einen Hund, der nach langen Jahren der Trennung wieder zu seinem Herrchen zurückgefunden hatte. »Ei, ei, ei, mein Lieber! Jetzt wird alles wieder gut!«
Virgil streichelte über die Kunststoffverkleidung des Fahrzeuges, das ihn mit seiner Kamera treu anschaute und, da war sich Virgil sicher, gewiss mit dem Schwanz gewedelt hätte, sofern ein solcher vorhanden gewesen wäre. Virgil drückte seinen kleinen Freund fest an sich, und er hätte ihm bestimmt das Genick gebrochen, wenn es ein richtiger Hund gewesen wäre. So brach aber nur eine Metallverstrebung der Kamerahydraulik, aber das störte Virgil nicht weiter. Er wusste nicht, wie er seine Dankbarkeit dem Servicemobil gegenüber anders ausdrücken sollte. Der Roboter hatte ihn immerhin aus seiner Isolation befreit und ihn vor dem drohenden Wahnsinn gerettet. Da war es doch nur recht und billig, wenn er der Maschine einen Teil jener Aufmerksamkeit zukommen ließ, auf die er so lange hatte selbst verzichten müssen.
17
Es war wohl nur ein Zufall, dass das kleine Mädchen schon am Abend im Steinbruch gefunden wurde. Dort lag sie am Ufer des Sees, wo sie offensichtlich im Laufe des Nachmittages kollabiert war und ihr Bewusstsein verloren hatte. Die anderen Kinder hatten schon gedacht, sie wäre tot. Aber als man ihr mit einem Stecken in die Seite piekste und sie an den Haaren zog, rührte sie sich wieder.
Ein Rettungswagen brachte das kleine Mädchen ins Krankenhaus, mit Blaulicht und Tatütata. Ein Jammer, dass sie
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