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Drachenblut

Drachenblut

Titel: Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lee Parks
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über endlose Zahlenreihen gebrütet, bis ihm die Augen flimmerten, und wollte sich nun von seiner Arbeit entspannen, bevor er endgültig nach Hause ging.
        Außer ihm waren noch etliche andere Passanten unterwegs, deren Schatten entlang der beleuchteten Schaufenster der Geschäfte und der finsteren Fassaden der Fabriken ihre zackigen Bahnen zogen. Die Stadt machte einen beinahe unwirklichen Eindruck, hier und da durchbrach eine grelle Neonleuchtreklame die Dunkelheit, und ein tiefes rhythmisches Stampfen drang aus dem Hintergrund in Virgils Bewusstsein.
        Ein paar Straßen weiter waren die Außenwände der Schule durch Graffiti verziert. Infantile Sprüche wie BERND IST DOOF oder MURPSEL LIEBT SCHNUFFEL standen gleich neben kritischeren Aussagen wie DIE SCHULE TÖTET oder NUR DAS LEBEN ERZIEHT!, die zweifellos zu den radikaleren Kommentaren gehörten, mit denen der Lehrbetrieb in Frage gestellt wurde.
        Plötzlich meinte Virgil auf der anderen Straßenseite einen Bekannten gesehen zu haben. Er änderte die Richtung und eilte über die Fahrbahn, ohne sich vorher nach dem Verkehr umgesehen zu haben. Ein kurzes Quietschen, Hupen, der Geruch nach verbranntem Gummi (aber das konnte auch Einbildung gewesen sein, wie Virgil hinterher überlegte), und schon flog er durch die Luft und war schneller auf der anderen Straßenseite angekommen, als ihm lieb sein konnte. Der Autofahrer kümmerte sich natürlich nicht um ihn, sondern besaß noch die Frechheit, sich aus dem Wagenfenster zu lehnen und in seine Richtung zu schimpfen, bevor er einen Gang zurückschaltete, nochmals kräftig Gas gab und in einer dicken Abgaswolke hinter der nächsten Kurve verschwand.
        Virgil schlug mit dem Kopf auf dem Pflaster des Gehweges auf, dass einem schon alleine vom Zusehen unwohl werden musste. Der Helm auf seinem Kopf verrutschte, es funkte und blitzte vor seinen Augen, und der Boden riss unter ihm auseinander, weitete sich zu einer abgrundtiefen Schlucht, in die Virgil jetzt zu stürzen drohte. Trotz seiner Benommenheit gelang es ihm, mit einer reflexartigen Bewegung nach einem festen Halt zu greifen. Aber die Bordsteinkante, in die sich Virgil mit seinen Fingern krallte, schäumte auf und zerlegte sich in ihre Bestandteile. Die Pflastersteine wurden in sich instabil, wackelten, verdrehten, verformten sich und lösten sich in ihre atomare Grundstrukturen auf, wobei die Elemente in allen Richtungen davonflogen wie ein Schwarm bunter Schmetterlinge, der von einer Sommerwiese aufgeschreckt war. Die Schlucht weitete sich immer mehr, fraß den Gehweg, die Straße und die Geschäfte auf. Schließlich war einfach nichts mehr da, woran sich Virgil hätte festhalten können. Er rutschte ab, drehte sich um seine eigene Achse und stürzte dann in die Schlucht hinab. Seine Schreie verhallten zwischen irgendwelchen geometrischen Figuren, die sich um ihn herum in jeder Sekunde tausendfach bildeten und gleich wieder zerfielen, als wäre nichts mehr von Bestand, als regiere das pure Chaos.
        In seiner Angst schloss Virgil einfach seine Augen und versuchte, wieder Herr seiner Sinne zu werden. Der Wechsel von Formen und Farben hörte sofort auf. Virgil kam mit seinen Beinen auf einer rotbraunen Ebene zum Stehen, die sich nach allen Richtungen unendlich weit ausdehnte. Die Ebene wies nicht die geringste Unregelmäßigkeit auf, keine Frage, das war künstlich erzeugte Realität, Virgil wusste wieder, wo er war.
        Die Stadt, in der er sich gerade noch befunden hatte, war einfach nicht mehr da, hatte sich spurlos aufgelöst und nichts als Leere hinterlassen. Stattdessen spannte sich hoch über ihm ein Raster von Horizont zu Horizont, das unangenehme Schwindelgefühle erzeugte, sobald man längere Zeit an den Himmel schaute. Virgil presste die Hände gegen die Schläfen und schüttelte den Kopf, um die Schmerzen zu vertreiben. Er hatte nur noch den dringlichen Wunsch, schleunigst das System zu verlassen und nach Hause zu gehen. Er hatte heute Abend schon viel zu lange am Computer gesessen, wenn er nicht aufpasste, dann würde er noch den Bezug zur Wirklichkeit verlieren. Virgil deutete mit dem Zeigefinger nach Osten, gab damit dem Rechner über den Datenhandschuh den entsprechenden Steuerbefehl und marschierte los, um vielleicht irgendwo eine Menüleiste zu finden, an der er die weiteren Optionen zum Ausstieg aus der virtuellen Realität wählen konnte.
        Schon bald verspürte Virgil bei jedem seiner Schritte einen

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