Drachenblut
Eitelkeit der Auserwählten zu appellieren.
Gespannt verfolgte Gott die Posse, sein Finger verharrte über der Taste der Fernbedienung und wartete auf weitere Befehle, aber die Macht der Bilder war einfach zu groß.
»Was seid ihr doch für ein Schelm, Herr Pfarrer. Es ist wohl nicht das erste Mal, dass ihr solche Worte zu eurem Vorteil zu nutzen wisst.«
»Wo denkt ihr hin, meine Teure? Wollt ihr mich einen Lügner nennen, einen Heuchler, dem der Sinn nur nach einem flüchtigen Abenteuer steht?«
Der Pfarrer spielte den Gekränkten. Das war raffiniert, aus dem Täter wurde ein Opfer, und damit schmolz der letzte Widerstand des Stubenmädchens dahin. Die Hände des Pfarrers zitterten, als er sich am Kleid der Angebeteten zu schaffen machte, wobei es unklar war, ob dies eine Folge seiner Erregung war oder nur eine Alterserscheinung.
Als der Pfarrer das Stubenmädchen auf das Bett zog, hielt es Gott nicht mehr aus. Das unwürdige Schauspiel konnte er sich beim besten Willen nicht länger ansehen. Wo sollte das noch hinführen, wenn selbst die Vertreter der Kirche den fleischlichen Versuchungen nicht mehr widerstehen konnten? Es war an der Zeit, dass hier mal wieder anständig durchgegriffen wurde.
31
Der alte Teddybär saß auf dem schmalen Regal, das an der Wand über dem Bett des kleinen Mädchens angebracht war. Von hier oben hatte er einen guten Überblick über das Kinderzimmer, das nicht an allen Tagen so aufgeräumt war wie heute. Das Gesichtsfeld des Bären war nur durch die fette Gummispinne eingeschränkt, die es sich zwischen ihm und der Blechtrommel bequem gemacht hatte und die ihre borstigen Beine nach allen Richtungen ausstreckte, um nicht vom Regal zu rutschen.
Das kleine Mädchen war heute sehr beschäftigt. Zuerst hatte sie aus bunten Stoffresten ein Kleid für ihre Tochter genäht, dann hatte sie im Zimmer die Möbel umhergerückt, um einen Platz zu finden, an dem sie die Wiege für ihr Kind aufstellen konnte, und zu guter Letzt war das Mädchen wie jeden Morgen auf die Waage gestiegen, um zu sehen, ob sie schon an Gewicht zugenommen hätte.
»Sieh her, Teddybär, vier Kilo mehr als gestern!« Das kleine Mädchen hüpfte vor Freude auf der Waage auf und ab, dass der Zeiger nur so hin und her zuckte. »Bald ist es soweit, ganz bestimmt.« Glücklich tanzte das Mädchen durch das Zimmer, nahm im Vorbeigehen den Teddybären vom Regal und drückte ihn fest an sich. »Vielleicht morgen schon oder übermorgen.«
Der Teddybär genoss es über alles, wenn das kleine Mädchen mit ihm schmuste. Dann kitzelte sie ihn am Bauch oder zog ihn schelmisch am Ohr, bis er lachen musste. In ihrer Nähe fühlte er sich geborgen. Die Wärme und Zuneigung, die von ihr ausgingen, ließen ihn beinahe vergessen, dass er nur ein Spielzeug war. Wie sie ihn an ihre Brust drückte, konnte er sogar ihr winziges Herz aufgeregt schlagen hören, und er vermochte zu erahnen, wie es war, ein Wesen aus Fleisch und Blut zu sein.
Nachdem das kleine Mädchen zwei Runden im Zimmer gedreht hatte, gab sie dem Bären noch einen Kuss auf die Stirn und setzte ihn wieder zurück an seinen Platz. Natürlich freute sich der Teddybär genauso wie das kleinen Mädchen auf das bevorstehende Ereignis, auch wenn er sich eingestehen musste, dass er ein klein wenig eifersüchtig war. Nicht länger würde ihm die uneingeschränkte Aufmerksamkeit seiner Freundin zuteil werden. Aber das war wohl eine Erfahrung, an die er sich gewöhnen musste, und er hoffte aus ganzem Herzen, dass das kleine Mädchen glücklich werden würde.
Den Teddybären schauderte mit einem Mal. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass er das kleine Mädchen verlieren würde. Kein Zweifel, das Mädchen wurde erwachsen, und ihre ganze Liebe und Fürsorge galt ihrer Tochter, für die sie die Verantwortung übernommen hatte. Traurig schlug der Bär seine Augen nieder, ein Zittern durchfuhr seinen Körper, und mit Grausen erkannte er, dass es nicht seine Gedanken waren, die ihn erschaudern ließen, sondern dass es die fette Spinne war, die mit ihren langen Beinen über seinen Rücken tastete. Die Berührung rief in ihm das Gefühl von Ekel hervor, und er wollte sich gegen die Nähe des Monsters wehren, das langsam auf ihn zugekrochen kam und mit jeder Minute aufdringlicher wurde. Aber der Bär saß wie angewachsen auf dem Regal, konnte sich nicht vom Fleck rühren und musste die abscheuliche Spinne hilflos
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