Drachenblut
merkwürdigen Druck an seinen Füßen, als würde er mit dünnen Sohlen über grobe Kieselsteine gehen. Verwundert schaute er zu Boden und sah, dass sich dort, wo er eben noch den Fuß aufgesetzt hatte, eine kleine Spitze aus dem Boden heraus schob, die schnell zu einer mannshohen Pyramide anwuchs und ihn von seinem augenblicklichen Standpunkt verdrängte. So wurde Virgil immer weiter getrieben. Dabei produzierte er mit jedem seiner Schritte stets aufs Neue diese Pyramiden, die hinter seinem Rücken zu mächtigen Bauwerken heranwuchsen. Virgil hetzte durch den künstlichen Raum und versuchte, schneller als seine eigenen Schritte zu sein. Das wollte ihm freilich nicht so einfach gelingen, er war ja schließlich Wissenschaftler und kein Sportler. Kraftlos sank er alsbald nieder und harrte, der Technik ergeben, dem Ansturm der Pyramiden.
Der Ansturm der Pyramiden ließ allerdings auf sich warten. Virgil schaute über seine Schulter zurück, und da war nichts mehr. Keine Pyramiden, kein Himmel, ja nicht einmal ein Fußboden, auf dem er eigentlich sitzen müsste! Das war alles doch sehr merkwürdig, fand Virgil, und zweifellos der Fehlfunktion des Systems zuzuschreiben, die er gerade am eigenen Leibe erfahren musste.
Nachdem es um ihn herum nichts weiter zu sehen gab, entschied sich Virgil dazu, an anderer Stelle sein Glück zu versuchen. Er streckte seinen Zeigefinger in irgendeine Richtung aus und sauste durch den leeren Raum, bis er in weiter Ferne einen Quader erkennen konnte, der langsam größer wurde und dem er folglich immer näher kam. An der Seite des Quaders befand sich tatsächlich eine Menüleiste, die dem Benutzer eine Auswahl an Steuerbefehlen zur Verfügung stellte. Virgil hatte sich schnell entschieden, und sein Finger deutete auf eine Option.
QUIT
Jetzt würde zuerst der dreidimensionale Eindruck des Raumes völlig verschwinden, dann würde die Computergrafik transparent werden und Virgil wäre in die Realität entlassen.
NO EXIT
No exit? Was sollte das heißen? Virgil verstand die Welt nicht mehr. Vielleicht hatte er das Auswahlfenster nicht richtig getroffen. Er kniff die Augen zusammen und stieß nochmals mit seinem Zeigefinger gegen die Menüleiste, um das Programm abzubrechen und seinen Aufenthalt im System zu beenden.
NO EXIT
Das war ja lächerlich! Virgil konnte nicht glauben, dass ihm der Ausstieg verwehrt wurde. Sicherlich lag hier nur ein Irrtum oder eine einfache Fehlfunktion vor. Aber es gab ja zum Glück irgendwo im Computer noch genügend andere Fenster, über die sich der Rechner steuern lassen konnte. Virgil hob seine flache Hand an und stieg hinauf zur nächsten Ebene. Hin und wieder steckte hier inmitten dieser Ebene eine rote Kugel, von der unzählige Leiterbahnen sternförmig in alle Richtungen ausgingen. Virgil berührte eine der Kugeln, worauf sich diese ausdehnte und einen Durchmesser von vielleicht zwei Metern erreichte. Auf eine weitere Berührung hin bildeten sich auf der Kugeloberfläche die bekannten Menüfenster. Virgil zögerte keine Sekunde.
QUIT
Aber auch der Computer zögerte keine Sekunde.
NO EXIT - WINDOW CLOSED
Virgil stand da wie gelähmt. Es konnte und durfte einfach nicht sein, dass das Programm versagte. An die möglichen Folgen wagte er im Augenblick nicht einmal zu denken. Um sich der aufkommenden Panik nicht auszuliefern, beschloss Virgil, systematisch vorzugehen und einfach alle Fenster durchzuprobieren, die irgendwo vorhanden waren. So löste er sich aus seiner Erstarrung und hetzte von einer Ebene zur anderen, traf aber immer wieder nur auf die gleichen Menüleisten, die ihm den Ausstieg aus dem System verwehrten.
NO EXIT - WINDOW CLOSED
Neben dem Fenster schwebte ein Keyboard, auf das Virgil in letzter Hoffnung zurückgriff und den Befehl über die grafisch dargestellte Tastatur manuell in den Rechner eingab: UNLOCK WINDOW - NOW!
Die Antwort des Computers war nüchtern, aber in ihrer Wirkung auf Virgil geradezu niederschmetternd.
EXIT DENIED - UNAUTHORIZED USER
»Aber nein, das muss ein Irrtum sein! Wer außer mir sollte denn noch … Ich bin es doch, holt mich hier heraus! Hallo, irgend jemand!« Virgils hysterisches Kreischen verhallte ungehört in einem Raum, der eigentlich gar nicht da war, und er trommelte verzweifelt gegen das verschlossene Fenster, mit kalten Fäusten, die nicht ihm gehörten, die aber längst zu
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