Drachenbraut
Wesen dieser Welt bereits einmal in natura gesehen zu haben. Aber gegen diesen Mann wirkte die alte Schamanin aus Malawi harmlos wie Heidi von der Alm.
Warum sie völlig immun gegen seine Macht war, war ihr schleierhaft. Sicher, der Anfall hatte ihn massiv geschwächt und schlussendlich bewusstlos werden lassen, aber auch das konnte ihre Immunität gegen seine Aura, seine Kraft nicht erklären. Die hörte nämlich wegen einer kleinen Ohnmacht nicht auf zu existieren.
Immer noch spürte sie das Nachbeben seines Schmerzes in ihren Händen. Als seine Atmung immer unregelmäßiger geworden war, hatte sie wie in Trance die Hände auf seine Schläfen gelegt, magnetisch angezogen von seiner Wärme und dem Drang, sein Leid zu lindern.
Bereits vorher im Bad war die Empfindung, während sie ihn berührt hatte, stark gewesen, aber dieser Körperkontakt hatte sie fast an ihre Grenzen gebracht. Seine Kraft hatte sie schlicht überflutet. Und trotz alledem, trotz dieser Energie, die sie förmlich mit sich gerissen hatte, war da plötzlich etwas in ihr, von dessen Existenz sie nichts gewusste hatte. Das Wort «Ruhe» umschrieb es nur unzureichend.
Es war etwas, was sie tief in ihrem Innersten berührte und völlig unerwartet durchatmen ließ: tiefe Stille. Stille und das Gefühl, am rechten Platz zu sein. Und bei allem, was ihr lieb war: Sie war noch nie am rechten Platz gewesen. In zweiunddreißig Jahren nicht. Es fühlte sich an, als ob ihr ganzes bisheriges Leben aus der Suche nach diesem Ort bestanden hätte, ohne den rechten Glauben, dass es ihn tatsächlich geben konnte. Einzig in ihren Träumen war sie diesem Gefühl bisher nahe gekommen.
Genau das war auch der Grund, warum sie einfach blieb, wo sie war, selbst nachdem seine Atmung sich wieder beruhigt hatte. Nämlich direkt auf seinen Hüften, so dicht wie möglich bei ihm und der lodernden Hitze seines Körpers, die ihr auf diese völlig unerklärliche Weise so gut tat.
Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt, seinen Duft eingeatmet, ihn über ihre Haut in sich aufgenommen. Natürlich war er verdammt attraktiv. Und natürlich hatten ihre Empfindungen etwas mit körperlichem Verlangen zu tun. Das konnte sie nicht leugnen. Aber irgendwie schien dieses sonderbare Bedürfnis, ihm nah sein zu wollen, darüber hinaus zu gehen. Es war nur ihrem jahrelangen Training als Notärztin zu verdanken, dass sie sofort in den Normalmodus umschalten konnte, als er wieder zu sich kam.
Auf dem Weg zurück in ihr Zimmer kreisten die Gedanken wie wild in ihrem Kopf. Jede Faser ihres Körpers wollte zurück. Zurück zu dieser Stille. Sie schüttelte sich leicht, um dieses abwegige Bedürfnis loszuwerden, doch das erwies sich als unmöglich. Die fremde Empfindung blieb und begleitete sie weiter bis über die Türschwelle.
Schnell streifte sie sich die Schuhe von den Füßen und kletterte in ihr immer noch zerwühltes Bett. Kaum dass ihr Kopf das Kissen berührt hatte, gesellte sich auch noch die altbekannte Ruhelosigkeit zu dem Wirrwarr in ihrer Seele. Mit einem wütenden Grunzen rollte sie sich vom Rücken auf die Seite. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
« Verdammt, Josefine. Schlaf jetzt. »
Sie drehte sich hin und her, zog die Decke fest um ihren Körper und kniff die Augen zu. Alles in der Hoffnung, endlich einschlafen zu können. Aber die chaotischen Gefühle ließen sich von dieser Ansprache nicht einschüchtern und jagten fleißig weiter haltlos durch ihren Kopf. Um halb vier sah sie das letzte Mal auf ihr Smartphone, dann endlich schlief sie ein.
Starke Schwingen trugen sie in die Höhe. Das Geräusch der vorbeischießenden Luft klang in ihren Ohren und ihre Hände ruhten auf seinem Körper. Samtig heiß spürte sie seine Haut unter ihren Handflächen. Der rechte Ort. Tiefe Ruhe überkam sie, und sie ließ es zu, dass seine Kraft sie flutete ...
Der Wecker ihres iPhones riss sie unsanft aus dem Schlaf. Mit geschlossenen Augen tastete sie nach dem Telefon und drückte darauf herum. Sie versuchte mit aller Kraft, den Traum festzuhalten, aber er zerrann, je intensiver sie sich an ihn klammerte. Was blieb, zumindest für ein paar kostbare Sekunden, war die Ruhe. Die lang ersehnte Ruhe und das Kribbeln in den Handflächen. Sie rollte sich zurück auf den Rücken und starrte die weiße Decke an. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten?
Fragend blickte sie auf ihre Handflächen, die sich immer noch anfühlten, als habe sie sie dicht vor ein prasselndes Kaminfeuer
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