Drachenbraut
Fliesen.
«Valentin!»
Hastig senkte sie die Hände erneut auf seine nasse Haut. Für einen Moment geschah gar nichts. Sie spürte seinen Schmerz und etwas unerreichbar dahinter Liegendes. Ansonsten war völlige Funkstille.
Er gab ein leises Stöhnen von sich und sein Körper verkrampfte sich unter ihren Händen. Die Panik versuchte sie zu übermannen, sie niederzukämpfen, ihr sämtliche Kraft zu rauben. Sie würde ihn verlieren. Aber das durfte nicht passieren.
«Nein!»
Ihre Stimme brach sich an den Fliesen, hohl und verzweifelt. Ihr Nein galt allem. Der Welt, die drohte unterzugehen, Valentins schmerzgepeinigtem Gesicht und der Unfähigkeit, ihrer Gabe freien Lauf zu lassen.
Sie begann, sich auf ihren Atem zu konzentrieren, und versuchte, alles andere auszublenden. Sogar Valentins Schmerz schob sie gedanklich beiseite, erkämpfte sich Stück für Stück die Freiheit des Geschenkes ihrer Urahnen: ihren Drachen zu heilen.
Sie ließ die Liebe zu. Ließ es zu, dass die stärkste Emotion, zu der Menschen in der Lage waren, die Führung übernahm. Ganz langsam stellte sich das zarte Prickeln in den Handflächen wieder ein. Sie spürte hinter die betonharte Mauer seines Schmerzes und fand nur Sekunden später, was ihrer aller Leben bedrohte: die grauschwarzen Schleier des Giftes in seinem Blut.
Aus dem Nichts heraus wusste sie, was zu tun war. Schlagartig, als hätte es ihr jemand zugeflüstert, begriff sie, wie sie ihm helfen konnte.
«Hornet, ich brauche …», rief sie durch die geschlossene Tür.
Weiter kam sie nicht, denn Hornet kniete bereits neben ihr, einen Dolch auf seiner geöffneten Handfläche balancierend. Sie packte Valentins Arm und presste, ohne weiter nachzudenken, den Dolch gegen seinen Unterarm.
Die Klinge glitt durch die Hautoberfläche. Im nächsten Moment färbten sich die weißen Fliesen zu ihren Knien rot. Ihre Hände pressten sich gegen seine Brust und diesmal gelang es ihr sofort, durch die Mauer des Schmerzes zu dringen. In fliegender Eile jagte sie ihre Kraft durch seinen Körper, zog die Säure aus jeder Zelle seines Organismus und konzentrierte sich so stark, bis sie den Druck selbst kaum noch aushalten konnte.
Sie schnappte nach Luft, vor ihren Augen drehte sich alles, aber verbissen kämpfte sie weiter. Sie hielt dem Druck stand. In dem Moment, als sie spürte, wie ihre eigene Kraft sie verließ, gelang es ihr endlich, die amorphe schwarze Masse in geordnete Bahnen zu lenken, hin zu der stark blutenden Wunde.
Als das Wasser sich schwarz zu färben begann, kroch sie instinktiv ein Stück zur Seite. Valentin begann zu zittern. Ihre Hände brannten, als hielte sie glühende Kohlen, und sie spürte seinen Puls flattern. Für einen unendlich langen Moment fühlte sie wieder den Hauch der Todeskälte in ihren Handflächen.
Doch das Gefühl verschwand und sein Puls normalisierte sich. Er sackte augenblicklich zusammen. Aber seine Atemfrequenz war normal und auch das Zittern war verschwunden. Für eine Sekunde lehnte sie die Stirn an seine Brust und lauschte nur dem Prasseln des Wassers.
Er lebte.
Seine Hand hob sich, fuhr von unten über ihren Rücken und blieb dann in ihrem Nacken liegen. Das Wasser nahm das beständig aus der Wunde rinnende Blut an seinem Arm mit sich und lief über seinen Oberkörper. Sie fasste nach einem Duschhandtuch, das in Griffweite über der Glasabtrennung hing. Fest presste sie den Stoff auf die Wunde, während sie jetzt ihre eigene Erschöpfung in sich hochkriechen spürte.
Die Finger ihrer freien Hand wanderten seinen Arm hinauf, offensichtlich auf der Suche nach der Oberarmarterie. Ihr war selbst nicht mehr ganz klar, was sie hier tat. Aber ihre Finger wussten es, denn sie fanden die heftig pulsierende Arterie. Ihr Zeigefinger suchte sich seine Position, um den Blutfluss durch starken Druck zu vermindern.
Er lebte.
Kapitel 21
Valentin hatte geglaubt, er müsse sterben. Davon war er fest überzeugt gewesen. Er hatte gekämpft, bis er keine Kraft mehr gehabt hatte. Und darüber hinaus, denn der Schmerz, Josefine zu verlassen und diese Welt ihrem Schicksal zu überlassen, hatte dem körperlichen Schmerz in nichts nachgestanden.
Aber sie hatte ihn gerettet. Seine Vesna hatte ihn nicht gehen lassen.
Vorsichtig öffnete er die Augen. Josefines rotes Haar war dunkel vor Nässe. Sie hielt seine Hand, saß dicht bei ihm. Er atmete einmal tief durch. Der Schmerz, der ihn mit sich gerissen hatte, war verschwunden.
Er suchte nach seiner Stimme und
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