Drachenbraut
verstummt.
Magische Wesen registrierten jede Form von Dominanz und Unterlegenheit. Das hierarchische System war seit Jahrtausenden unverändert und wenn zwei der Ihren sich in einem Raum befanden, würde immer der Ranghöhere den Raum als Erstes verlassen … oder einen anderen Raum betreten.
Das war sein Statement. Josefine war seine Vesna, seine Gefährtin, und wer ihr Schutz verwehrte, stellte sich direkt gegen ihn und musste mit einer drakonischen Strafe rechnen.
Der Rat war vollständig versammelt. Armand Dupont und Trinidad saßen auf den eleganten Ledersesseln. Hornet lehnte lässig am Kamin, neben ihm wartete mit unbewegter Miene Eduard Konnternontix. Die beiden Hexen standen etwas abseits. Alle Gesichter waren ihm zugewandt.
Er spürte ein sonderbar warmes Gefühl der Erleichterung durch den Raum wabern. Er war wieder zurück und souverän schlüpfte er in die Rolle des Anführers, während Josefine sich an der gegenüberliegenden Seite auf dem kleinen Hocker vor dem Konzertflügel niederließ. Er entdeckte Oskar, der neben dem Kamin auf einer Decke lag und offenbar tief schlief. Clemens hockte neben ihm an der Wand gelehnt und hatte eine Hand auf die Brust des Hundes gelegt.
Der Umgang mit Tieren war für alle Wandler etwas völlig Natürliches und er war sich sicher, dass der Alpha gut für seinen Hund gesorgt hatte. Sein Blick verweilt einen Moment länger auf dem Mann, der seinen kurz geschorenen Schädel bei seinem Eintreten respektvoll gesenkt hatte, bis dieser wieder aufblickte. Kurz war es an ihm, den Kopf zu senken und sich mit dieser Geste zu bedanken, dann verschränkte er die Arme vor der Brust.
«Wie viel Vorbereitungszeit braucht ihr für dieses Ritual?»
Den Hierarchien entsprechend antwortete Dupont und seine Stimme klang seltsam dumpf. «Ungefähr drei bis vier Stunden. Da dem Angriff der Schatten kein zweiter folgen wird, weil sie ihre gesamte Kraft erstmal verbraucht haben, scheint es in meinen Augen sinnvoll, den Schutzwall über dem Gelände aufzuheben, um unsere Energien besser konzentrieren zu können.»
«Auf keinen Fall», Caroline Heppner fuhr dazwischen. «Wir werden nicht ohne ausreichenden Schutz den Ritualplatz betreten.»
Die letzten Worte presst sie heiser hervor und in ihren Augen lag offensichtlich Angst. Zustimmendes Gemurmel erhob sich.
«Der Riss hat sich massiv geöffnet, aber noch ist er nicht so weit eröffnet, dass die Alben ihn passieren könnten. Es gibt zur Zeit keine weiteren Hiobsbotschaften aus der menschlichen Welt, weswegen wir relativ sicher sein können, dass wir unbehelligt sein werden. Die Alben werden ihrerseits ihre Kräfte bündeln und sich von diesem Rückschlag erholen müssen», antwortete Dupont hitzig.
Valentin spürte ein beginnendes Grollen tief in seiner Brust. Die Spannung im Raum hatte die Instinkte seines Drachen erwachen lassen. Mit einem sonderbaren, surrealen Gefühl der Dankbarkeit hieß er ihn Willkommen.
«Ihr lasst den Schutz weiterhin bestehen», befahl er kalt. «Sobald wir das Ritual beginnen, werde ich mich in der Nähe von euch aufhalten, um so weiterhin für euren Schutz zu sorgen. Wenn allerdings der Riss durch eure Energie die Dimensionen angenommen hat, die die Alben für ihr Eindringen in unsere Welt benötigen, muss ich mich so dicht wie möglich an der durchlässigen Stelle der Atmosphäre aufhalten, um sie an einem Eindringen zu hindern. Spätestens dann werdet ihr den Schutzwall wieder benötigen.»
Stille senkte sich über den Raum. Er sah einen nach dem anderen durchdringend an. Und einer nach dem anderen erwiderte seinen Blick. Das Schließen von durchlässigen Stellen in andere Welten war ein gefährliches Ritual. Eines der gefährlichsten, stand doch die gesamte Weltordnung auf dem Spiel. In diesem Fall ging es um alles. Vor ihm befanden sich die mächtigsten Magier und Hexen. Ihre Erfahrung ging über Jahrhunderte zurück. Sie konnten jetzt nichts mehr tun, außer gewissenhaft sämtliche Vorbereitungen zu treffen.
Josefine hatte sich mit dem Rücken gegen die Tasten des alten Flügels gelehnt und starrte auf den Boden. Er spürte ihre Anspannung bis tief in seine Seele.
Er würde sie allein lassen müssen. Er hatte keine Angst vor dem Kampf, aber der bloße Gedanke, sie hier zurücklassen zu müssen, produzierte einen kalten Stein der Furcht in seinem Magen. Er hatte schlicht und ergreifend blanke Angst um sie.
Er hatte fast achthundert Jahre nie etwas zu verlieren gehabt. Er war allein gewesen.
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