Drachenbraut
keinesfalls verwundert über ihre Reaktion. Für einen Moment herrschte wieder Stille zwischen ihnen. Josefine war zu intensiv mit diesem Gedankengang beschäftigt, um noch sprechen zu können. Ein Gott?
«Erklär es mir», murmelte sie leise und stand vom Hocker auf, um sich wenige Meter vor Hornet auf einem der Sofas niederzulassen.
«Du kennst dich mit der nordischen Mythologie aus?»
Sie schüttelte nur stumm den Kopf.
«Ich bin ein nordischer Gott. Mein eigentlicher Name ist Tyr.»
«Sehr erfreut.»
Sie lächelte und betrachtete Hornets Gestalt mit völlig neuen Augen. Trug ein Gott einen hellblonden Irokesenschnitt und hatte ein Zungenpiercing?
Er streckte die langen Beine vor sich aus. «Ich warte auf Ragnarök.»
«Das ist dann vermutlich nichts Gutes?»
«Das ist der Weltuntergang. Zumindest in eurer Vorstellung.»
Er sah sie wieder direkt an und hätte ihr im gleichen Tonfall auch die Zubereitung von Spaghetti Bolognese erklären können.
«Aha», murmelte sie schwach.
«Nach Ragnarök wird es eine neue Welt geben. Je nachdem, wer gewinnt, gibt es eine gute oder eine schlechte neue Welt. Ich bin in Midgard geblieben.» Er schwieg kurz und fügte dann bei dem offensichtlichen Fragezeichen in ihrem Gesicht hinzu: «Das ist diese Welt. Deine Welt. Also ich bin hier geblieben, um den Fortgang zu beobachten. Ragnarök muss ja nichts Schlechtes sein.»
Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. Nun, sie hatte da eine etwas andere Meinung, aber bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Hornet fort: «Alles entscheidend ist, welche Mächte den Sieg davontragen.»
Er beugte sich etwas nach vorne und seine Stimme hatte bei diesen Worten seine gleichbleibende Ruhe verloren. Eindringlich sah er sie an.
«Wenn der Fenriswolf sich losreißt, wird das in den heutigen Zeiten ein atomarer Anschlag oder eben das Auftauchen der Dunkelalben sein. Das wäre schlecht.»
Es waren nicht seine Worte, die sie so verwunderten. Sie hatte aufgehört, etwas verstehen zu wollen. Weder von Ragnarök noch von einem Fenriswolf hatte sie jemals zuvor etwas gehört. Außerdem hatten sie ganz offensichtlich sehr unterschiedliche Ansichten zum Thema Weltuntergang. Wenn man die Dimension ihrer Existenz betrachtete, war das auch durchaus verständlich. Sie war Ärztin, er ein Gott.
Es war seine plötzlich veränderte Körpersprache, die ihre Aufmerksamkeit in den Bann zog. Er war gar nicht so nüchtern und abgeklärt, wie es den Anschein hatte.
«Hornet?»
Aufmerksam sah er sie an.
«Ich verstehe gar nichts. Wenn wir Ragnarök in den Griff bekommen, schenkst du mir ein Buch darüber, okay?»
«Viel spannender wäre es, wenn ich dir darüber berichten würde. Über Asgard, die Welt, in der die anderen sind. Über die Krieg führenden Riesen, über das Meer, das alles verschlingt. Es ist traurig, dass selbst magische Wesen über unsere Geschichten nur noch Bruchteile oder», er deutet mit seiner behandschuhten Hand auf sie, «eben gar nichts wissen.»
Hornet stand auf. Allerdings nur, um sich auf den kleinen Tisch vor ihrem Sessel zu setzen. Weder gab er vor, die schwache Holzmaserung der Dielen anzuschauen, noch blickte er an ihr vorüber. Er sah sie direkt an. Um genau zu sein, begutachtete er sie.
Erstaunt verschränkte sie die Arme vor der Brust, fühlte sich aber bei seinem prüfenden Blick nicht unwohl. Was sollte das jetzt? Fragend hob sie die Schultern. «Was ist?»
«Lass uns rausgehen.»
Diese Antwort hatte nichts mit ihrer Frage zu tun.
«Warum hast du mich gerade so gemustert?», versuchte sie es erneut.
«Valentin und mich hat immer eine Sache verbunden. Die Einsamkeit. Jetzt hat er dich. Jetzt ist er nicht mehr allein.»
Seine Worte klangen seltsam emotional und Josefine beobachtete fasziniert, wie eine ganze Anzahl von Gefühlen über seine sonst so nüchterne Miene huschten.
«Das ist sehr sonderbar, verstehst du? Du bist sehr sonderbar. Ich bin noch nie einer wie dir begegnet. Da muss man auch mal ganz genau hinschauen.»
Ihr fehlten einfach die Worte. Er hielt sie für sonderbar? Das war schon fast witzig, denn sie hielt ihn, neben dem Drachen, für das Ungewöhnlichste, was ihr jemals begegnet war.
«Lass uns zu den anderen gehen. Es ist an der Zeit.»
Hornet erhob sich und sie stand ebenfalls auf. Während sie sich zum Gehen wandte, fragte sie leise: «Ist es nicht frustrierend hier auszuharren und auf den Weltuntergang zu warten? Zu wissen, dass alles umsonst ist?»
Wie musste es sich anfühlen, zu
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