Drachenelfen
in einer einzigen Nacht Zutritt zum Palast begehrten.
»Ihr dürft passieren, Mylady. Ich hoffe, die
Gesundheit Eurer Frau Tante wird sich bessern«, sagte der Wächter höflich.
»Vielen Dank.« Iridal neigte den Kopf und
rauschte an ihm vorbei.
Die Schritte der Posten auf der Mauerkrone
hallten dumpf im Torweg wieder. Vor ihr ragte gewaltig der Hauptkomplex des
Imperanon empor, flankiert von Seitengebäuden, die sich am Fuß des Berges
entlangzogen. Sie fühlte sich eingeschüchtert und winzig klein angesichts der
atemberaubend imposanten Residenz des Elfenkaisers.
Iridal dachte an die vielen Wachen im Palast; in
ihrer Phantasie standen sie alle vor dem Zimmer ihres Sohnes, und plötzlich
sank ihr der Mut. Hatte sie wirklich geglaubt, dieses vermessene Wagnis könne
gelingen?
Aber es wird gelingen, sagte sie zu sich selbst.
Es muß gelingen!
Sie nahm ihr Herz in beide Hände und ging
weiter. Hugh hatte sie gewarnt, sich keine Unsicherheit anmerken zu lassen,
deshalb zwang sie sich, Ruhe zu bewahren, auch als ein Soldat, der im
Fackelschein einen Blick auf ihr Gesicht erhascht hatte, plump vertraulich kundtat,
er habe in einer Stunde dienstfrei.
Immer den Plan vor Augen, bog Iridal nach rechts
ab, auf einen Weg, der am Hauptgebäude vorbeiführte, zu einem weiter
zurückgelegenen Trakt. Sie ging unter Torbögen hindurch, an Baracken und
Wirtschaftsgebäuden vorüber. Hinter einer Biegung fand sie sich im grünen
Zwielicht einer Allee wieder und passierte auf halbem Weg einen protzigen
Springbrunnen, ungenierte Zurschaustellung immensen Reichtums, jetzt aber ›wegen
Reparaturarbeiten außer Betrieb‹. Ihr wurde beklommen zumute. Nichts von dem
hatte sie auf dem Plan eingezeichnet gesehen. Sie fühlte sich versucht
umzukehren und auf demselben Weg ein Stück zurückzugehen, als sie endlich
etwas erblickte, an das sie sich von Hughs Plan her erinnerte.
Die Allee hatte sie zu den Kaiserlichen Gärten
geführt. Der terrassenförmige Park war prachtvoll, wenn auch nicht so
schwellend und üppig wie vor der Wasserknappheit. Für Iridal war es jedenfalls
ein willkommener Anblick, sie blieb erleichtert stehen.
Unterkünfte für die Gäste des Kaisers begrenzten
die Grünanlagen, ein Halbkreis aus acht Pavillons, jeder mit einem eigenen
Eingang. Iridal zählte bis sechs, Gram befand sich im siebten. Sie konnte fast
in sein Fenster sehen. Das Federamulett in der geballten Faust an die Brust
gedrückt, hastete Iridal den von Blumenrabatten gesäumten Pfad entlang.
Ein Bediensteter öffnete und fragte nach ihrer
Legitimation. Iridal förderte umständlich das Papier zutage – ließ es fallen.
Der Lakai bückte sich.
Iridal fühlte, wie ein Luftzug den Saum ihres
Rocks bewegte, als wäre jemand an ihr vorbei durch die offene Tür geschlüpft.
Sie nahm den Passierschein – der Mann hatte kaum einen Blick darauf geworfen,
und hoffentlich bemerkte er auch nicht, wie ihre Hand zitterte. Er trat zur
Seite, um sie einzulassen und bot ihr die Dienste eines Kerzenjungen an. Als
sie ablehnte, reichte er ihr ein kleines Windlicht.
Während sie den langen Korridor hinunterging,
spürte sie förmlich die Blicke des Lakaien im Nacken, obwohl der längst wieder
dabei war, mit dem Pagen den neuesten Hofklatsch durchzuhecheln. Iridal stieg
eine mit Teppichläufern ausgelegte Treppe hinauf und stand im Flur des nächsten
Stockwerks, leer, spärlich erleuchtet von Kerzen in mehrarmigen Leuchtern an
den Wänden. Grams Zimmer lag ganz am Ende des Ganges.
»Hugh?« flüsterte sie, blieb stehen und schaute
sich nach allen Seiten um.
»Ich bin hier. Pst. Geh weiter.«
Iridal atmete auf, aber gleich darauf erschrak
sie furchtbar, als eine Gestalt sich aus den Schatten löste und auf sie zukam.
Es war ein Elf, ein Mann in der Uniform eines
Armeeoffiziers. Sie ermahnte sich, daß es ihr gutes Recht war, sich hier
aufzuhalten, und der Mann hatte vermutlich am Tor ebenfalls angegeben, zu
seiner ›armen kranken Tante‹ gerufen worden zu sein. Mit einer Kaltblütigkeit,
deren sie sich nie für fähig gehalten hätte, zog sie die Kapuze über den Kopf
und wollte an dem Fremden vorbei, als er die Hand ausstreckte und ihr den Weg
versperrte.
Empört richtete Iridal sich hoch auf. »Wirklich,
Sir, ich…«
»Lady Iridal?« unterbrach er sie mit gedämpfter
Stimme.
Trotz ihrer Überraschung und aufkeimenden Angst
bewahrte Iridal ihre hoheitsvolle Miene. Hugh war in der Nähe, auch wenn
Weitere Kostenlose Bücher