Drachenelfen
sie
mit Schaudern daran dachte, was er womöglich tun könnte. Er ließ sie nicht
lange im Zweifel. Seine Hände materialisierten sich in der Luft hinter dem
Elfen. Ein Dolch blitzte.
Iridal brachte kein Wort heraus, ihre Magie
zerrann.
»Ihr seid es tatsächlich.« Der Elf lächelte.
»Jetzt kann ich das Trugbild durchschauen. Habt keine Angst, ich komme von
Eurem Sohn.« Er hielt ein Federamulett in die Höhe, das genaue Gegenstück zu
Iridals. »Ich bin Hauptmann Sang-drax…«
Die Dolchklinge senkte sich etwas, Hughs Hand
gab ihr ein Zeichen, sie solle versuchen herauszufinden, welche Absichten der
Mann hatte.
Sang-drax. Sie erinnerte sich an den Namen,
offenbar jemand, dem sie vertrauen konnten, falls sie in Bedrängnis kamen.
Waren sie in Bedrängnis?
»Ich habe Euch erschreckt. Das tut mir leid,
aber ich wußte nicht, wie ich sonst mit Euch Verbindung aufnehmen sollte. Ihr
schwebt in großer Gefahr. Der Mann mit den Tätowierungen…«
»Haplo!« entfuhr es Iridal.
»Ja, Haplo. Er war es, der Euren Sohn den Elfen
in die Hände lieferte. Habt Ihr das gewußt? Bestimmt erhofft er sich Vorteile
für seine eigenen verbrecherischen Pläne davon. Er hat von Eurer Absicht
erfahren, Gram zu befreien, und will es verhindern. Jeden Moment kann er hier
sein. Wir dürfen keine Zeit verlieren!«
Sang-drax griff nach Iridals Hand und zog sie
mit sich. »Rasch, Mylady, wir müssen vor Haplo bei Eurem Sohn sein.«
»Wartet!« Iridal riß sich los.
Immer noch funkelte die Dolchklinge hinter dem
Elfen im Kerzenlicht. Hughs andere Hand war erhoben und mahnte sie zur
Vorsicht.
»Wie konnte er das erfahren? Niemand wußte
davon, nur mein Sohn…«
Sang-drax’ Miene wurde ernst. »Haplo hegte einen
Verdacht. Euer Sohn ist tapfer, Madame, aber selbst starke Männer sind schon
unter der Folter zerbrochen…«
»Foltern! Ein Kind!« Iridal rang nach Atem.
»Dieser Haplo ist ein Ungeheuer. Er macht vor
nichts Halt. Glücklicherweise konnte ich eingreifen und das Schlimmste
verhindern. Der Junge ist verstört, aber sonst unversehrt. Kommt jetzt. Ich
werde leuchten.« Sang-drax nahm ihr das Windlicht aus der Hand und schob sie
sanft vor sich her. Die Hand und der Dolch waren beide nicht mehr zu sehen.
»Bedauerlich«, meinte Sang-drax, »daß wir niemanden
haben, der Wache steht, während Euer Sohn sich für die Reise bereitmacht. Haplo
könnte unbemerkt auftauchen. Aber ich wollte keinen von meinen Männern ins
Vertrauen ziehen, man weiß nie…«
»Macht Euch keine Gedanken«, sagte Iridal kühl.
»Ich habe einen Begleiter.«
Sang-drax mimte Erstaunen, Bewunderung. »Jemand
mit ebensolchen magischen Kräften, wie Ihr sie habt. Nein, sagt mir nichts. Je
weniger ich weiß, desto besser. Da ist das Zimmer. Ich bringe Euch zu ihm,
aber dann muß ich Euch für einen Moment verlassen. Der Junge hat eine Freundin,
ein Zwergenmädchen namens Jarre. Sie soll hingerichtet werden, und er will
nicht ohne sie fliehen. Ihr bleibt bei Eurem Sohn, ich hole die Zwergin.«
Iridal war einverstanden. Sie kamen zu der Tür
am Ende des Ganges, und Sang-drax gab ein Klopfzeichen.
»Ein Freund«, rief er halblaut. »Sang-drax.«
Die Tür ging auf. Das Zimmer lag im Dunkeln, ein
merkwürdiger Umstand, wenn man darüber nachdachte. Doch im selben Moment hörte
Iridal einen erstickten Jubelruf.
»Mutter! Mutter, ich wußte, du würdest kommen!«
Iridal sank auf die Knie und breitete die Arme
aus. Gram warf sich ihr an die Brust.
Goldene Locken und eine tränenfeuchte Wange
schmiegten sich an ihr Gesicht.
»Ich bin gleich wieder da«, versicherte
Sang-drax, aber Iridal hörte ihn gar nicht, merkte auch nicht, wie er die Tür
lautlos ins Schloß zog.
Es war Nacht in den Verliesen der Unsichtbaren.
Hier unten brannte kein Licht, nur eine einzige Glühlampe spendete dem
diensthabenden Soldaten etwas Helligkeit. Für Haplo, ganz am anderen Ende des
Ganges, war sie nur ein heller Fleck, kaum größer als eine Kerzenflamme. Kein
Laut unterbrach die Stille, außer dem stoßweisen Husten irgendeines armen
Wichts in einem anderen Zellentrakt und dem Stöhnen eines sicheren
Todeskandidaten, dessen politische Ansichten höheren Orts nicht konvenierten.
Haplo war so gewöhnt an diese Geräuschkulisse, daß er sie nicht mehr zur
Kenntnis nahm.
Er starrte auf die Zellentür.
Neben ihm stand erwartungsvoll, mit gespitzten
Ohren der Hund. Das Tier spürte, daß etwas Entscheidendes bevorstand, und
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