Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Fersen. Sollte der Priester nur sehen, mit wem er sich traf. Es würde ihn einschüchtern.
Das Viertel war belebt, und dennoch wirkte es wie die ganze Stadt auf Gonvalon zugleich wie in Trauer. Er hatte dies schon am ersten Tag so empfunden, als sie vom Fluss hinauf zum Haus der Seidenen gestiegen waren. Aber es hatte eine Weile gedauert, bis ihm klar geworden war, woraus das Gefühl resultierte. Es gab fast keine Frauen auf den Straßen. Und er hatte bisher kein einziges Kind gesehen.
Aus den Berichten im Tempelarchiv hatte er erfahren, dass die Frauen der Menschenkinder auf Nangog so gut wie nie schwanger wurden. Dass die Sterblichen hier dennoch siedelten und Städte bauten, konnte er nicht begreifen. Konnte es ein deutlicheres Zeichen geben, dass diese Welt nicht für sie geschaffen war? Dies war der Grund, warum Frauen Nangog mieden.
Ihn allerdings mieden sie nicht! Hier, wo Frauen unter Hunderten wählen konnten, hatte ihn gestern eine dunkelhäutige Schönheit auf dem Platz der Vogelhändler angesprochen. Sie war nur mit einem Umhang aus schillernden Federn und einem kurzen Rock bekleidet gewesen. Ihre zarte Haut hatte sie mit ver schlungenen, weißen Schlangen bemalt. Ganz ohne Begleitung war die seltsame Schöne über den Markt geschlendert. Sie musste eine Priesterin oder etwas Vergleichbares sein, denn niemand hatte sie behelligt. Ihr strahlendes Lächeln hatte Gonvalon auf seinem Weg zurück zum Haus der Seidenen innehalten lassen. Und kaum dass er stehen geblieben war, war sie zu ihm gekommen. Die geheimnisvolle Dame hatte ihn in verschiedenen Sprachen angesprochen und wollte ihn einladen, irgendein weißes Tor mit ihm zu durchqueren. Natürlich hatte er höflich abgelehnt. Und doch hatte ihm die Begegnung geschmeichelt.
Er erreichte die Straße der Wolken. Große Häuser mit vergoldeten Dächern säumten seinen Weg. Hier lebten Fernhändler und einige der Lotsen, die die riesigen Wolkenschiffe über den Himmel führten. Ein Warnruf schreckte ihn aus seinen Gedanken. Eine ausladende, blaue Sänfte wurde die Straße hinaufgetragen, und er musste in einen Hauseingang zurückweichen, um den schwitzenden Trägern auszuweichen. Hinter durchscheinenden Schleiern sah Gonvalon den Schattenriss einer Frau. Zwei riesige Leibwächter mit geölten, nackten Oberkörpern, die neben der Sänfte liefen, warfen ihm misstrauische Blicke zu. Dann war der seltsame Tross vorüber.
Wenig später hatte er das Haus erreicht, bei dem er sich verabredet hatte. Zum Eingang führte eine schmale Steintreppe hinab. Er musste lächeln – es würde ihn schon sehr wundern, wenn der Priester ihm hier hinein folgte.
Vor der Tür erwartete ihn ein gedrungener Rausschmeißer mit aufgedunsenem Gesicht. Er betrachtete Gonvalon mit der Herablassung jener, die ihre Schlachten mit dem Maul statt mit Fäusten schlagen. Der Elf strich über seinen mit Münzen besetzten Schwertgurt. »Ich habe gehört, dass man hier auf angenehme Weise sein Silber loswerden kann.«
»Lass dich nicht abhalten.« Der Schläger drückte die Tür auf, und kaum dass Gonvalon einen Schritt über die Schwelle in die dämmrige Eingangshalle getan hatte, lächelte ihn ein Mädchen mit hinreißenden Mandelaugen an.
»Hast du einen Kerl, so rot wie die Abendsonne, hier hereinkommen sehen?«, fragte er unumwunden.
Das Lächeln der Schönheit erstarb. »Dort drüben«, entgegnete sie knapp und wies über ihre Schulter auf den Durchgang zum Innenhof. Auch hier war es dunkel, und so musste Gonvalon eine Weile suchen, bevor er hinter einem Brunnen Nodon entdeckte. Ein Schatten unter Schatten.
Der Vertraute Nachtatems trug einen auffälligen Umhang aus roten Papageienfedern, darunter weite Beinkleider und eine Tunika. Beides ebenfalls in Rot. Es wimmelte in der Stadt zwar von exzentrisch gekleideten Söldnern und Glücksrittern, aber einem, der aussah wie Nodon, war Gonvalon noch nicht über den Weg gelaufen. Obwohl seine Wahl der Maskierung für einigen Ärger gesorgt hatte, hatte er sich nicht umstimmen lassen. Wenigstens trug er heute einen Turban und verbarg sein bleiches Gesicht hinter einem Schleier, sodass seine vollkommen schwarzen Augen nicht auffielen.
»Weißt du, wessen Haus das hier ist?«, zischte Nodon.
»Es gehört dem Narbengesicht«, entgegnete Gonvalon leichthin. »Aber ich glaube nicht, dass Kolja dich in diesem Aufzug als einen der abgerissenen Reisenden erkennen wird, die von der Seidenen in ihr Haus geholt wurden.«
»Warum gehst du dieses
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