Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Stadtviertel zerteilte. Kein Menschenkind war zu sehen. Beklommen blickte Nodon die Straße hinauf. Statuen säumten das letzte Stück bis zum Kraterrand.
»Hier ist es.« Gonvalon flüsterte, obwohl es weit und breit niemanden gab, der ihren Stimmen hätte lauschen können. »Diese Straße führt direkt an den Ort, an dem sie ihre Toten im Himmel bestatten.«
Geduckt bogen sie ab und hielten sich am Rand der steil ansteigenden Straße. Die beiden Monde hatten sich hinter Wolken verborgen, doch reichte das Licht der Sterne, um der Nacht den Anblick der grotesken Ungeheuer zu entreißen, denen die Menschenkinder huldigten: Göttern mit Tierhäuptern wie das geflügelte Weib, eine leicht gebückte Gestalt mit Keilerkopf und Kral lenhänden oder ein Mann, der in Flammen gehüllt war. Dies waren die Bilder der Mörder, die zur Blauen Halle gekommen waren. Wider alle Vernunft wünschte Nodon sich, eines Tages einem von ihnen gegenüberzustehen. Sie sollten für ihre Verbrechen büßen. Hier auf Nangog würde es beginnen!
Es dauerte nicht lange, und sie erreichten den Kraterrand. Aus der Prachtstraße wurde eine breite Treppe, die ins Innere des Kraters hinabführte. Viel war vom Weltenmund nicht zu erkennen. Schroffe Felshänge verloren sich im Dunkel der Nacht. Hier und dort klammerte sich ein windgebeugter Baum ans Gestein. Nodon glaubte, auch geborstene Säulen zu sehen, war sich aber nicht ganz sicher.
»Vorsicht«, zischte Gonvalon.
Zwei Wachen näherten sich von Westen her auf dem Saumpfad, der sich den Kraterrand entlangzog. Die beiden waren ins Gespräch vertieft. Ab und an blickten sie in die dunkle Wunde, die angeblich bis zum Herzen der Welt führte.
Die Elfen wichen zur Prachtstraße zurück und duckten sich in den Schatten eines löwenhäuptigen Götterbildes. Die Wachen sahen nicht ein einziges Mal in Richtung der Stadt. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Krater.
Nodon fragte sich, was sie dort unten erwartete. In den letzten Tagen hatte er oft den Geschichten der Lotsen gelauscht und sich nach den Routen erkundigt, auf denen die Himmelsschiffe mit den wechselnden Winden zogen. Er hatte ein Dutzend oder mehr Angebote bekommen, sich als Söldner einzuschiffen. Dabei hatte er immer wieder von einem gefürchteten Piraten gehört, der den Kauffahrern mehr und mehr zu schaffen machte. Einem Mann, von dem es hieß, er sei bereits einmal von einem der Unsterblichen erschlagen worden und dennoch wieder unter die Lebenden zurückgekehrt. Die Wolkenschiffer hatten eine abergläubische Furcht vor ihm. Man munkelte gar, er könne seine Schiffe gegen den Wind steuern und die Grünen Geister seien ihm zu Diensten. Der Elf fragte sich, ob dieser Tarkon Eisenzunge so wie Nandalee auch von einem der Geister besessen war.
Was er von den Wolkenschiffern aber nicht erfahren hatte, war das Geheimnis des Weltenmunds. Obwohl sie Nangog am besten kannten, wussten auch sie nicht, was dort unten lauerte. Sich jetzt einfach kopflos und unvorbereitet in die Gefahr zu stürzen entsprach ganz und gar nicht seiner Art.
Als die Wachen vorüber waren, eilte Gonvalon erneut zum Kraterrand und dann, ohne zu zögern, die breite Treppe hinab. Nodon folgte ihm widerwillig und sah, dass sie auf eine Felszunge führte, die weit in den Krater hineinragte. Sieben goldene Masten erhoben sich dort, von denen die Banner der sieben Unsterblichen im warmen Wind wehten, der vom Grund des Kraters aufstieg.
Eine niedrige Brüstung umfasste die Felszunge. Nodon trat zu Gonvalon und spähte ebenfalls in den Abgrund.
Es war wenig zu erkennen. Nicht weit unter ihnen wogte Nebel. Der Schwertmeister musste an eine der Geschichten denken, die er unter den Wolkenschiffern gehört hatte. Sie besagte, dass die Welt Nangog aus dem Leib einer Riesin erschaffen worden war, die die Devanthar besiegt hatten. Doch diese Riesin war nicht tot. Nicht einmal die Waffen der Götter hatten ihr das Leben nehmen können. Der Kampf mit ihr hatte über Jahrhunderte gedauert, bis der Ebermann eine List ersann. Die Götter bestrichen ihre Waffen mit einem Gift, das die Riesin Nangog in einen tiefen Schlaf versetzte. Dann banden sie sie mit Magie und begruben ihren zur Kugel gekrümmten Leib unter Bergen und Meeren.
Der Krater aber, an dem die Goldene Stadt erwuchs, hatte seinen Namen bekommen, weil er tatsächlich der Mund der Riesin war. Und trat man an seinen Rand, so konnte man den warmen Atem Nangogs auf seinen Wangen fühlen.
Nodon löste Turban und Schleier, die
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