Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Spitzel.
»Ehrenwerter Asa, wie konntet Ihr so rasch … äh, was wollt Ihr von mir?«, stammelte der Priester, wobei er sich ungelenk gegen die Tür drückte.
»Hast du jemals von Jonah dem Roten gehört?«
»Nein, ehrenwerter Asa«, ihr Verfolger schüttelte den Kopf. Ein Muskel in seiner Wange zuckte unkontrolliert.
Gonvalon nickte Nodon zu, der neben ihm stand und nun einen Schritt auf den Priester zu machte. »Dies ist der Scharfrichter der Kushiten. Es heißt, er habe am Tag der Schlacht dreiundzwanzig Luwier getötet. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Aber ich selbst habe gesehen, wie er an einem einzigen Nachmittag vierundvierzig Verräter enthauptete.« Gonvalon lächelte maliziös. »Geh nun zurück zu deinen Oberen, und richte ihnen aus, dass ich es als Aufforderung betrachte, Jonah mit in den Tempel zu bringen, sollte mir noch ein einziges Mal einer wie du hin terherschleichen. Ihr wisst, wie empfindlich der Unsterbliche Aaron auf Intrigen seiner Priester reagiert, und ich habe alle Vollmachten, seinem Zorn mit Jonah fleischliche Gestalt zu geben. Nun geh!«
Gonvalon trat zu Seite, und der Priester stürzte zwischen den beiden Elfen hindurch und rannte die Straße hinauf, als säßen ihm die Grünen Geister im Nacken.
»War es notwendig, mich in deine Angelegenheiten hineinzuziehen? Nun kennt er mich«, fragte Nodon eisig.
»Jetzt sag nicht, dass ein Mann, der ganz in Rot durch die Stadt stolziert, Wert darauf legt, unerkannt zu bleiben.«
Gonvalon ignorierte Nodons schlechte Laune. Der erste Schritt war getan, er war seinen Schatten losgeworden. Gemeinsam gingen sie durch schmale Gassen und über steile Stiegen, die immer höher den Hang hinauf bis zu dem Weg führten, der den Rand des Kraters säumte. Gonvalon war tagsüber schon mehrfach hier gewesen, doch die Nacht schien einen Zauber über den Krater geworfen zu haben. Jetzt erschien ihm alles anders: geheimnisvoller, einsamer, bedrohlicher.
Niemand war auf dem Kraterweg zu sehen. Nur einige Wachen, die in weiten Abständen patrouillierten. Entlang des Kamms erhoben sich etwa alle fünfhundert Schritt Wachtürme, hinter deren gezackten Mauerkränzen Feuer brannten. Deutlich waren die Schattenrisse der Krieger zu erkennen, die dort auf einsamer Wacht standen.
Gonvalon kam es so vor, als seien all ihre Blicke ins Innere des Weltenmundes gerichtet. Er wusste, dass in den Tempeln genaue Aufzeichnungen über die fliegenden Toten existierten. Jene Helden, deren Leichen an Fluggerüste gebunden in den Aufwinden des weiten Kraters kreisten. Es wurde Buch darüber geführt, welcher Held wie lange schwebte, und die Zahl der Tage, die er über dem Krater gekreist war, wurde Teil seiner Legende. Doch jetzt hatte er das Gefühl, dass dies nicht allein der Grund für so viel Aufmerksamkeit für das Innere des Weltenmunds sein konnte.
Es schien, als bewachten die Menschenkinder den Abgrund selbst, voller Angst vor dem, was dort hauste. Etwas, das auf all den Hunderten von Tontafeln, die er inzwischen gesehen hatte, mit keinem Wort erwähnt worden war! Man brauchte nicht so viele Wachtürme, um über den Flug der Toten Buch zu führen.
Es wurde kälter, je näher sie dem Weltenmund kamen. Ein frischer Wind wehte über den Kraterrand und zerrte an ihren Um hängen. Gonvalon war oft genug als Meuchler ausgesandt wor den, um zu wissen, wann Gefahr drohte. Selten hatte er dieses Gefühl so intensiv empfunden wie in diesem Augenblick. Er tausch te einen Blick mit Nodon und wusste sofort, dass auch sein Gefährte es spürte.
»Gehen wir hinunter?«, flüsterte Nodon. Seiner Stimme war nichts von seiner Unruhe anzumerken.
»Ich habe eine Schuld zu begleichen«, entgegnete Gonvalon beklommen. »Es ist eine Frage der Ehre.«
I m Weltenmund
Nodon bereute inzwischen, sich auf diese Dummheit eingelassen zu haben. Aber wenn er jetzt einen Rückzieher machte, hätte er auf immer sein Gesicht verloren. Ein wenig hoffte er darauf, dass dies nur eine absurde Mutprobe war und Gonvalon seine Pläne im letzten Augenblick aufgab. Knapp eine halbe Meile waren sie mit etwas Abstand dem Kraterrand gefolgt. Sie hielten sich in den oberen Gassen, die parallel zum Weltenmund verliefen. Hier gab es nur noch wenige Häuser, meist umgeben von ausgedehnten Gärten, die sich hinter hohen Mauern versteckten.
Böiger Wind strich durch die Baumwipfel und entlockte den Kronen ein geisterhaftes Wispern. Es war kühl. Sie erreichten eine breite Prachtstraße, die wie eine Schneise die
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