Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
meinen Nägeln. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchte, um einen Spalt zu schaffen, der es mir erlaubte, die Platten zur Seite zu biegen. Monde, Jahre, Jahrzehnte? Zeit war nicht mehr messbar in meinem Gefängnis. Danach habe ich sehr vorsichtig ein nadeldünnes Loch durch den Stein gedacht. Mehr wagte ich nicht. Und selbst für diesen winzigen Angriff auf die Wände meines Gefängnisses wurde ich mit einem Ozean von Schmerzen bestraft. Ich dachte, ich müsste wahnsinnig werden. Immer wieder habe ich für Wochen aufgegeben, um neue Kraft zu sammeln. Doch als ich es endlich schaffte, wurde ich mit der köstlich frischen Luft eines versiegelten Kellergewölbes belohnt. Ich meine das nicht zynisch. Etwas freier atmen zu können, war ein Geschenk! Allerdings überkamen mich Zweifel, ob ich jemals entkommen könnte. So kerbte ich mit meinen Fingernägeln meine Geschichte in das weiche Blei. Ich gestehe, dass ich zu diesem Zeitpunkt wohl schon nicht mehr ganz klar dachte. Ich klammerte mich an mein Leben, konnte aber nicht verhindern, dass sich mein Körper von innen heraus auszehrte. Erst als ich meine Arbeit am Blei vollendet hatte und es nichts mehr gab, worauf ich mein Denken richten konnte, erreichte ich jene kristallene Klarheit, die mir das ganze Ausmaß der Strafe deutlich vor Augen führte.
Niemand würde mich je im Inneren des Steins suchen! Es gab ja nichts, das auf mich hinwies. Išta hatte mir mein Gefängnis gezeigt, bevor sie mich einsperrte. Kein Name war in den glatten Stein geschnitten. Kein Bild, das auf mich hinwies. Es war einfach nur ein Stein. Niemand würde je meine Geschichte im Blei lesen. Also erhob ich meine Stimme und wob einen neuen Zauber. Wie ein Insekt seine Fühler ausstreckt, wob ich eine Kraftlinie, die hinaus zur verketteten Tür und das erste Stück die Treppe hinaufreichte. Fast nie kam jemand hinab.
Mein magischer Sinn sah das Eisen der Ketten rosten. Wann immer sich jemand näherte und diese Kraftlinie berührte, aktivierte er einen Zauber, der meine Worte aufs Neue erklingen ließ. Meine Botschaft, die Neugierige zum Stein locken sollte. Doch die Menschenkinder verschreckte der Zauber nur, und sie kamen noch seltener.
Die Zeiten, in denen ich schlief, wurden länger. Bald hatte ich kaum mehr die Kraft, mich zu rühren, wenn ich wach war. Nur mein Verstand hatte alle Fesseln abgestreift. Ich wusste, ich würde mich in den Tod hinüberschlafen. Ich bemerkte, dass mein Zauber, mit dem ich meine Worte für die Ewigkeit hatte konservieren wollen, zu vergehen begann. Ich fand nicht mehr die Kraft, ihn zu erneuern. Alles, was mir noch an Willen verblieben war, wollte ich in einen letzten, meinen mächtigsten Zauber legen. Ich band meine Seele an mein Gebein, sodass ich niemals wiedergeboren werden würde. Und ich ersann einen Zauber, der von jedem, der sich meinem Gefängnis näherte, Lebenskraft stahl, um sie mir zuzuführen.
Da ich schwach war, besiegelte ich den Zauber mit meinem Blut. Ich gab mein Leben hin, um die Möglichkeit der Wiederkehr zu erhalten.« Er hob seine faltige Rechte, an der die Nägel lang wie Krallen waren. »Ich schlitzte meine Kehle auf und gab mein Leben in der Hoffnung, es zugleich zu erhalten. Einen letzten Funken meines Willens an das hagere Gerippe zu binden, das im Stein gefangen war. Und tatsächlich. Etwas blieb, bis Lyvianne kam.«
Nandalee sah zu der dunklen Meisterin, der vielleicht besten Zauberweberin der Weißen Halle. Sie wirkte ausgezehrt und mit ihrem rabenschwarzen Haar sah sie Manawyn sogar ein wenig ähnlich. Sie hatte die Taten Manawyns sicherlich gut verstanden. Nandalee hingegen war der alte Meister unheimlich. Sie wusste nicht, ob sie ihm vertrauen durfte. Wahrscheinlich würde er sie bei ihrem Versuch, zu Nangog vorzustoßen, sogar unterstützen. Aber sie ahnte, dass er das nicht täte, um ihnen zu helfen. Er wollte seine eigene, alte Mission erfüllen, und ihr Leben und das ihrer Gefährten wäre für ihn nur von untergeordneter Bedeutung.
»Warum hast du Lyvianne angegriffen, als sie dein Gefängnis öffnete?«
»Sie hatte die Gestalt eines Menschensohns, eines Priesters.« Er zog bedauernd die Schultern hoch. »Und ich gestehe, ich war gierig. Ich war nicht mehr weit davon entfernt, endgültig zu vergehen. Ich habe mich genährt, ohne an mein Opfer zu denken. Erst als ich wieder ein wenig zu Kräften kam, spürte ich, dass das kein Menschensohn sein konnte, der da zu mir gekommen war. Doch da war sie bereits geflohen.«
»Bei
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