Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
war ungewaschen. Ihr Haar unter einem schmutzig braunen Tuch verborgen. Sie hielt demütig den Kopf gesenkt und lauschte den Worten Barnabas. Er war ein wunderbarer Prediger. Seit er in die Stadt gekommen war, hatte sich die Zahl der Gläubigen mehr als verdoppelt. Er war ergriffen von Nangog, und selbst die Erste Mutter hatte ihn inzwischen in ihr Herz geschlossen. Er tat der Sache gut, und nur das zählte.
Barnaba redete gegen das Rauschen des Wassers an, das aus fünf mannshohen Rohren dicht unter der Decke in das große Sammelbecken stürzte. Von hier aus wurde es als ein breiter, unterirdischer Strom zum Fluss hin geleitet. Der Gestank der schäumen den, gelbbraunen Sturzbäche war atemberaubend. Niemand kam f reiwillig hierher. Zarah war unbegreiflich, wer diesen Ort Fünf Lotusblüten genannt hatte. An diesem Ort den Worten Barnabas zu lauschen war wahrlich eine Prüfung des Glaubens. Die meisten hatten sich parfümierte Tücher oder kleine, mit wohlriechenden Kräutern gefüllte Kissen mitgebracht, die sie vor Mund und Nase hielten.
Zarah atmete durch ein Kissen mit getrockneten Veilchen blüten. Doch selbst sie vermochten den Gestank nicht zu besiegen. Nur Barnabas Worte spendeten ein wenig Trost. Er wusste, was kommen würde. Sie hörte es deutlich aus seiner Predigt heraus. Ihr Verrat war sein Wunsch gewesen. Es war die schwerste Last, die ihr je aufgebürdet worden war.
»Brüder und Schwestern, wen die Göttin erheben will, den wird sie prüfen. Ich weiß um euer aller Mühsal. Ich weiß, wie es ist, ins Licht gesehen zu haben und nicht zu jenen reden zu können, die im Dunkel verharren, weil in diesem Dunkel Schlangen hausen, die sich am Busen der Unsterblichen nähren. Ihr musstet so oft schweigen. Jedes Wort hundertmal auf eurer Zunge wägen. Ihr lebt in Angst, weil uns jene im Dunkel ewige Feindschaft geschworen haben. Doch Nangog erhört jedes unserer Gebete und jede unserer Bitten. Nangog wird uns stark machen, alles zu ertragen. Ihr glaubt, ihr habt den Kelch der Bitternis schon bis zur Neige geleert? Ihr irrt! Unsere dunkelste Stunde steht uns noch bevor. Sie hat jetzt begonnen!«
Ein ängstliches Raunen ging durch die Menge der Gläubigen. Bisher hatte Barnaba stets von den Verheißungen Nangogs gesprochen. So wie jetzt hatte ihn noch niemand reden hören. Er hob beide Arme und winkte ihnen, näher zu kommen. Sie hatten sich, nah der unteren Kanäle, durch die sie Fünf Lotusblüten betreten hatten, im Schlamm des Ufers der Kloake versammelt, und Barnaba war mitten unter ihnen. Er stand auf einem großen Stein, der aus der Decke gestürzt war. Auch er trug ein einfaches Gewand. Einen Wickelrock, der mit Schlamm und Unrat besudelt war. Deutlich konnten alle die Narben auf seinem Körper sehen. Er war schon durch viel Mühsal gewandert.
»Kommt, Brüder und Schwestern! Kommt zu mir, und so, wie ein guter Hirte seine Herde in der Finsternis vor den Wölfen behütet, so will auch ich euch beschützen. Will mit euch aus dem Kelch der Bitternis trinken und werde mit euch jede der dunklen Stunden teilen, die uns erwarten. Kommt näher, meine Brüder und Schwestern! Kommt näher!«
Zarah fand sich in der Menge eingekeilt. Niemand erkannte in ihr die schöne Priesterin, die Barnaba bei den früheren Predigten so oft begleitet hatte. Nun wurde sie wie alle anderen geschoben und gestoßen. Leiber rieben sich an ihr. Lastenträger aus den Frachthöfen und Karawansereien, Fischer und Handwerker. Es gab nicht viele Alte auf Nangog. Nur die Jungen und Starken konnten auf dieser Welt überleben.
Jene, die Barnaba am nächsten standen, streckten die Arme aus, um den Prediger zu berühren und seinen Segen zu erhalten.
»Seid stark in eurem Glauben, und alle Fährnisse des Schicksals werden an euch brechen wie Wellen an einer Felsküste.«
Plötzlich wurden Rufe laut. Krieger mit hohen Schilden und Helmen, auf denen sich stolze Bronzekämme erhoben, stürmten die Eingänge der Fünf Lotusblüten. »Ergreift den Ketzer«, befahl die Stimme, die Zarah schon so oft Komplimente ins Ohr geflüstert hatte. »Schlagt jeden nieder, der Widerstand leistet.«
Zarah sah, dass die Krieger nur mit schweren Knüppeln bewaffnet waren, keiner hatte sein Schwert gezogen.
»Ruhig, meine Brüder und Schwestern! Kämpft nicht. Streitet nicht. Fügt euch, und ihr werdet sehen, Nangog ist mit euch. Es ist nicht euer Leben, das in Gefahr ist.« Barnaba stieg von seinem Stein herab, und eine Gasse bildete sich in der Menge der
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